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Nicht ohne meine Mutter: Mein Vater entführte mich als ich ein Jahr alt war. Die Geschichte meiner Befreiung (German Edition)

Nicht ohne meine Mutter: Mein Vater entführte mich als ich ein Jahr alt war. Die Geschichte meiner Befreiung (German Edition)

Titel: Nicht ohne meine Mutter: Mein Vater entführte mich als ich ein Jahr alt war. Die Geschichte meiner Befreiung (German Edition)
Autoren: Meral Al-Mer
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türkischen Satellitenfernsehen. Das erzählt jedenfalls Hamid, und dass sie, wenn er abends müde von der Arbeit kam, sich nicht zu ihm ins Bett legen wollte, sondern in Tränen aufgelöst diese schrecklichen Filme anschaute.
    Und dann, wie gesagt, kam ich auf die Welt. Doch statt besser, wie Saliha es sich erhofft hatte, wurde alles nur noch schlimmer. Tante Suheila schlug vor, mich Meral zu nennen, das heißt Rehkitz. Sie erzählte mir später, dass ich unglaublich schnell laufen lernte, vielleicht weil meine Eltern unaufhörlich miteinander stritten. Dann machte ich mich davon, kletterte Stufe um Stufe hinunter zu Oma Halima, wo immer jemand war, der mich auf den Schoß nahm und mir etwas Süßes in den Mund stopfte: Trost und Liebesersatz in zuckriger Form. Und so wurde ich zu einem dicken Kind. Statt wie ein Rehkitz sah ich damals eher aus wie ein kleiner Bär.
    Hamid hatte nie aufgehört, deutsche Freundinnen zu haben. Um den Zeitpunkt meiner Geburt lernte er Kornelia kennen, die schräg gegenüber wohnte, einen Sohn in meinem Alter hatte und sich gerade von ihrem Ehemann getrennt hatte, weil er sie ständig schlug. Hamid besuchte sie oft. Mich nahm er mit, und während die beiden zusammen waren, spielte ich mit Mark, ihrem Sohn.
    Ob Saliha davon wusste? Eine Frau weiß genau, wann ihr Mann fremdgeht, davon bin ich fest überzeugt. Außerdem glaube ich kaum, dass Hamid sich die Mühe machte, seine Affäre geheim zu halten. Machte sie ihm Szenen? Oder strafte sie ihn mit Nichtbeachtung, mit der ganzen Wucht ihrer Verachtung?
    Eines Morgens, nachdem sie Hamid Mohnbrötchen geholt und das typische türkisch-arabische Frühstück aus Oliven, Schafskäse, Joghurt, Gurkenscheiben und Tomatenstücken serviert hatte, gerieten Hamid und Saliha aus irgendeinem Grund wieder derart in Streit, dass er ihr die Gabel, mit der er gerade eine Olive aufspießen wollte, in die Schulter rammte. Oder war das vor meiner Geburt? Mal wurde es so erzählt, dann wieder anders. Sicher scheint nur, dass die Gabel tief in Salihas Schulter landete.
    »Dein Großvater ist schlimm«, vertraute mir Oma Halima einmal an. »Aber glaube mir eines: Dein Vater ist noch viel, viel schlimmer.« Ich protestierte, denn ich liebte meinen Vater abgöttisch.

2
Familienurlaub der besonderen Art
    Z ieh nicht so die Mundwinkel nach unten«, herrschte mich Jahre später mein Vater oft an, »glotz mich nicht so an, so vorwurfsvoll. Mein Gott, wenn du so schaust, dann siehst du aus wie deine Mutter. Sooo …« Und er zog eine fürchterliche Grimasse, die Mundwinkel wie ein Hufeisen nach unten gezogen. »Grässlich!«
    Welche Träume hatte Saliha? Was wünschte sie sich vom Leben? Weinte sie deshalb so viel vor dem Fernsehapparat, weil sie ihre eigenen Wünsche und Träume dort widergespiegelt sah? Oder weinte sie einfach so, aus Rührung, und machte sich über ihre eigenen Wünsche gar keine Gedanken?
    Ich war gerade acht Monate alt, als Saliha erneut schwanger wurde. Auch dieses Mal stimmte diese Neuigkeit meinen Vater nicht gnädig, ganz im Gegenteil. Und dann, im Mai 1982, kam er auf eine Idee, wie nur er sie haben konnte. Er beschloss, dass wir »alle zusammen« in die Heimat reisen würden, um mich, sein erstes Kind, der Verwandtschaft vorzustellen. Saliha, im siebten Monat schwanger, war begeistert. Zum ersten Mal seit ihrer Heirat würde sie ihre Familie wiedersehen. Bis sie erfuhr, was Hamid mit »alle zusammen« tatsächlich meinte: seine Geliebte Kornelia würde bei diesem Familienurlaub mit von der Partie sein.
    Füge ich die Bruchstücke, die mir später erzählt wurden, zusammen, dann stelle ich mir diese Reise so vor: Meine Mutter, die mich noch stillte, und ich saßen im Heck des Wagens, Hamid am Steuer und Kornelia auf dem Beifahrersitz. »Während der gesamten Fahrt«, beschwerte sich Kornelia später, »hat diese Frau versucht, mich umzubringen.«
    Saliha spuckte ihrer Nebenbuhlerin Wasser ins Genick, zog sie am wasserstoffblonden, dauergewellten Haar, fuhr ihr mit den Fingernägeln ins Gesicht. Die ganze lange Fahrt über, die uns durch Österreich, Italien, das damalige Jugoslawien und Bulgarien und schließlich quer durch die Türkei bis an die türkisch-syrische Grenze führte, fast viertausend Kilometer und rund fünfzig Stunden lang, herrschte Krieg in Hamids PKW . Wie viele Male hielt er an und zerrte Saliha aus dem Wagen, um sie grün und blau zu schlagen? Wie oft ließ er sie dort einfach am staubigen Straßenrand liegen, fuhr los,
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