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Nicht die Bohne!

Nicht die Bohne!

Titel: Nicht die Bohne!
Autoren: Kristina Steffan
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aufgeregt und in sehr lustige Bademäntel gehüllt. Nur Simon ist nicht aufgeregt. Der ist cool und trägt die Kliniktasche.
    »Nun regt euch mal ab. Das war doch ein absehbares Ereignis«, beruhigt er die beiden, während ich ins Auto geladen werde. Die nächste Wehe kommt, und ich grunze. Ich grunze sehr laut und höre im Hintergrund Simon schimpfen. »Das ist meine Frau, und sie bekommt unser Kind. Ich fahre mit. Punkt.«
    Um Himmels willen, die wollen ihn doch wohl nicht hierlassen? Ich brauche ihn. Dingend. Fast so dringend wie starke Drogen. Freundlicherweise ebbt die Wehe ab, und ich kann meinen Unmut persönlich kundtun: »Ich fahre nicht ohne Simon!«, brülle ich. »Sonst bekomme ich hier einen so unfassbaren hysterischen Anfall, dass Sie gleich die Wiederbelebung einleiten können!«
    Okay, ich klinge jetzt schon hysterisch, aber ich hatte es auch noch nie in meinem Leben mit solchen Schmerzen zu tun. Irgendjemand murmelt was von versicherungstechnischen Dingen, aber Simon sitzt schon neben mir.
    Die Fahrt reicht für drei volle Wehen, dann nimmt Gertrude mich am Eingang der Notaufnahme in Empfang. »Juhuuu!« Sie strahlt mich an und sieht wie immer blendend aus. »Dann kann es ja losgehen.« Sie reibt sich freudig die Hände und marschiert vorneweg.
    Vor dem Kreißsaal ist die Hölle los. Diverse Menschen stehen dort im Weg herum. Und diese Menschen gehören alle zu mir. Als ich um die Ecke gerollt werde, eilt Andrea sofort mit grimmiger Miene an meine Seite. Auch Jutta ist schon da. Zumindest körperlich, ihr Geist schläft noch. Das steht ihr ins müde Gesicht geschrieben. So eine kleine Geburt lässt sie als Veteranin sicherlich nicht in Hektik verfallen. Sogar Mara ist gekommen und sieht sehr blass und wieder sehr klein aus.
    »Wow, seid ihr alle schnell«, staune ich, bis die nächste Wehe kommt. Simon begleitet uns wie selbstverständlich bis in den Kreißsaal, wo ich mich flugs nach Wehenende schwungvoll auf das hübsche Geburtsbett wuchte. Ganz plötzlich bin ich guter Dinge. Es geht los. Die Bohne kommt. Bald ist alles überstanden.
    Und jetzt gebt mir Drogen!
    Vorher will Gertrude noch meinen Muttermund untersuchen, und danach wird sogar sie leicht hektisch. »Voll eröffnet, die Drogen fallen aus«, stellt sie fest, und als hätten die Wehen nur auf dieses Stichwort gewartet, geben sie richtig Gas. Vollgas, um genau zu sein.
    Ich vergesse meine Gelüste auf Drogen. Ich vergesse schlicht alles: Simon, der noch in der Ecke steht, die Mädels um mich herum, das Leben, die Welt. Übrig bleiben ich und die Wehen.
    Ich sehe nur noch Gertrudes Kopf zwischen meinen Beinen, und dieser Kopf spricht ab und zu. »Atmen!«, sagt er. »Nicht pressen!«, »Tief atmen!«, »Flach atmen!«, »Hecheln!«, »Nicht schreien!« und dann: »Pressen, Baby!«
    Mein Geist hat sich ausgeklinkt, aber mein Körper weiß seltsamerweise genau, was sie meint. Er ist offensichtlich Profi, und er presst. Ich höre noch ein leises »Gleich geschafft!« von Gertrude, und dann sehe ich die Bohne. Kommentarlos wird mir das blutige und zerknitterte Etwas auf den Bauch gelegt und mit einem dicken Handtuch bedeckt. Und dann steht die Welt still.
    Denn unter dem Handtuch lugt das Bohnengesicht hervor. Ganz klein und runzelig und mit winzigen Augen. Und eines dieser Augen öffnet sich jetzt einen Spaltbreit und sieht mich an.
    Oh, sie sieht mich an. Sie ist da. Und sie schaut ein wenig vorwurfsvoll aus, wie sie so nach oben linst.
    »Hallo«, hauche ich heiser und ehrfurchtsvoll. Dann kommt mir plötzlich ein Gedanke. »Sollte sie nicht schreien?«, frage ich in den Raum und erkenne meine eigene Stimme kaum.
    »Nein. Das muss sie nicht. Alles ist gut.« Gertrude erscheint lächelnd in meinem Gesichtsfeld und verschwindet genauso abrupt wieder.
    Ich kann es überhaupt nicht fassen. Warm und schwer liegt meine kleine Bohne in meinem Arm, und ich muss weinen. Jutta weint, Andrea weint und dann entdecke ich Simon, der ganz hinten in der Ecke steht.
    »Du musst gucken kommen«, raune ich und lüfte das Handtuch ein kleines Stück mehr.
    Er kommt und guckt und weint auch. Laut- und bewegungslos. Dann beugt er sich zur Bohne und flüstert ihr etwas zu, während seine Tränen auf meine Brüste fallen. Und dann flüstert er mir auch etwas zu: »Du bist eine Heldin.«
    »Gibt es einen Anwärter, um die Nabelschnur durchzuschneiden?«, fragt Gertrude in diesen Moment hinein. Ohne mit der Wimper zu zucken, schnappt Simon sich die Schere. Und ganz
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