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Nibelungenmord

Nibelungenmord

Titel: Nibelungenmord
Autoren: Judith Merchant
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aussah, aber cool? Nee, neben Paul sah sie nicht cool aus. Schwarz gekleidet, unfrisiert und schmuddelig, das war Svens Stil. Und Ohrlöcher, haufenweise. Nichts, was Mädchen gut fanden, das wurde ihm in diesem Moment bewusst.
    Bisher war es ihm egal gewesen, ob er cool war oder nicht. Hauptsache, er hatte seine Ruhe. Doch bisher hatte er auch nie neben Paul an einem Tisch gesessen und Lara dabei zugeschaut, wie sie begeistert einen Eisbecher aufaß. Wenigstens hatte er genug Geld dabei, um sie einzuladen.
    Er könnte gleich morgen losrennen und sich neue, richtig coole Klamotten zulegen. Und einen anständigen Haarschnitt verpassen lassen. Oder war es peinlich, wenn man sich von einem Tag auf den anderen neu einkleidete? Zu offensichtlich? Als wäre man Gast in so einer dämlichen Styling-Sendung gewesen?
    Cool wurde man nicht von einem Tag auf den anderen. Es war echt zu blöd. Er hatte sein ganzes Geld in Musik, Computerspiele und DVDs investiert und das Klamottenkaufen seiner Mutter überlassen, unter der Bedingung, dass es schwarze Sachen waren. Das Einzige, was er selbst bestellt hatte, waren seine Metal-Shirts.
    »Wollt ihr echt nichts abhaben?«, fragte Lara und betrachtete versonnen die zusammengeschmolzenen Reste ihres Eisbechers.
    »Nee«, sagte Sven.
    »Nee danke«, sagte Paul. Die beiden tauschten einen stummen Blick.
    Fall tot um, dachte Sven. Fall tot um oder löse dich von mir aus in Luft auf, aber verschwinde. Hör auf, Lara deine tollen Geschichten zu erzählen von irgendwelchen Discos und Partys und dem ganzen Kram, mit dem man Mädchen beeindruckt, die noch nicht sechzehn sind. Lara interessiert sich nicht für so was.
    Das war nämlich das Besondere an Lara. Sie war nicht so oberflächlich wie die Mädchen, die immer nur an ihr Aussehen dachten und an Serien und Germany’s Next Topmodel. Sie hatte echt was im Kopf. Sie machte sich Gedanken.
    Ihr hatte er sogar von der blöden Sache mit seinen Eltern erzählen können, ohne dass es peinlich wurde. Sie hatte einfach zugehört, und manchmal hatte sie eine Frage gestellt. Und er hatte genau gewusst, dass sie ihn verstand. Sie hatte sich die Haare aus der Stirn gepustet und …
    Lautes Gelächter unterbrach seine Gedanken, und er musste sich zusammenreißen, um sich zurechtzufinden. So lief das oft. Das war das Blöde am Kiffen. Man blieb ständig auf seinen eigenen Gedanken sitzen.
    »Ich glaub’s nicht«, kicherte Lara.
    »Doch, ich schwöre! Pass auf …« Paul beugte sich vor und hob einen Zeigefinger. Er würde gleich die nächste superwitzige Geschichte aus dem Ärmel ziehen, und dann noch eine, und dann … Sven merkte, dass seine Hände zitterten.
    »Wann lernen wir denn wieder Mathe, Lara?«, fragte er, und als ihm die beiden ihre Gesichter zuwandten, hatte er das unangenehme Gefühl, sie zu stören.
    Allmählich machte sich die vergangene Nacht bemerkbar. Ihm ging es nicht gut. Gar nicht. Er hatte kaum geschlafen und zu viel gekifft, und ein bisschen Pep hatte er auch gezogen. Dann war da noch der ganze Mist, an den er im Moment nicht denken wollte, und sein Vater, der ständig anrief …
    »Bis nach Weihnachten haben wir ja jetzt Ruhe, schätze ich«, sagte Lara. »Heute war nämlich die wichtige Arbeit«, setzte sie mit einem erklärenden Blick zu Paul hinterher.
    »Aber wir können ja trotzdem lernen«, sagte Sven. Seine Stimme kam ihm ganz leise vor. Hörte man ihn überhaupt?
    »Was ist los mit dir?«, fragte Lara. Sie musterte ihn aufmerksam, und er wünschte, er könnte die Augen schließen in der Gewissheit, dass sie da sitzen bleiben würde, ihm gegenüber.
    »Du siehst echt beschissen aus«, sagte Paul. »Geh doch nach Hause und leg dich ins Bett.«
    »Geht schon.«
    »Soll ich dich nach Hause bringen?« Lara klang besorgt.
    »Geht schon«, wiederholte er. Er setzte sich aufrecht hin und legte seine Hände nebeneinander auf den Tisch. Sie zuckten.
    Paul sah ihn an, und in seinem Blick war so viel Verachtung, dass sie sogar den Nebel in Svens Kopf durchdrang. »Hör doch endlich auf mit dieser Mitleidsmasche, die zieht nicht mehr.«
    »Mit welcher Mitleidsmasche?«
    »Halt die Klappe, Paul«, sagte Lara, und ihre Stimme klang sehr scharf.
    »Mit welcher Mitleidsmasche?«, äffte Paul ihn nach. »Guck dich doch an, du jammerst rum, du bist schlecht drauf, und weil nette Mädchen wie Lara eine soziale Ader haben, gehst du ihnen auf den Keks.«
    »Ich geh niemandem auf den Keks«, sagte Sven. Ihm war richtig übel plötzlich.
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