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Nibelungen 05 - Das Runenschwert

Titel: Nibelungen 05 - Das Runenschwert
Autoren: Jörg Kastner
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durch eine Lücke im Wolkengespinst, tauchte das linke Rheinufer, an dem Siegfried saß, in molkiges Licht.
    Die Wasseroberfläche brach auf, und etwas tauchte daraus hervor. In den milchigen Strahlen des Mondes war es nicht genau zu erkennen. Aber es sah aus wie ein Wesen, das halb Mensch und halb Tier war!
    Geräuschlos, wie Reinhold es ihm beigebracht hatte, glitt Siegfried hinter den gerundeten Steinblock, auf dem er gesessen hatte. Er wagte nicht, den Kopf zu erheben, um nach dem seltsamen Wesen zu sehen.
    Was war es?
    Ein Wassermann?
    Ein Seeungeheuer?
    Ein ruchloser Sendbote des Siebenschläfers?
    All dies schoß Siegfried durch den Kopf, und es erschien ihm keineswegs unglaublich. In einer solchen Nacht, an einem solchen Ort erwachten alte Mären zum Leben, kehrten die Geister zurück, die ein Christenpriester leichtfertig zum Aberglauben erklärte.
    Konnte ein Aberglaube, ein Hirngespinst, eine Mär Geräusche verursachen?
    Siegfried glaubte nicht, daß die Schritte seiner Einbildung entsprangen. So ging jemand, der dem Wasser entstieg, bei jedem Schritt mit einem leisen Platschen der nassen Füße.
    Aber was immer es war, es kam zielstrebig näher. Genau auf die Gruppe niedriger Felsen zu, hinter denen Siegfried verborgen lag.
    Er packte den Dolchgriff an seiner Hüfte, zog die Klinge aus der Lederscheide und spannte sämtliche Muskeln. Gleichzeitig hielt er den Atem an.
    Er zweifelte nicht daran, daß ein Flußgeist gekommen war, um seine Seele, vielleicht auch seinen Körper zu rauben. Oder sein Blut. Oft genug hatte seine Amme von Menschen erzählt, Flößern oder Waschweibern, die plötzlich verschwanden. Der Rhein spuckte ihre Leiber zwar wieder aus, aber ihnen fehlte all ihr Blut, bis auf den letzten Tropfen.
    Etwas verdunkelte das Mondlicht, doch es waren nicht die Wolken. Ein Schatten fiel auf den Felsen und den dahinter kauernden Jüngling.
    Jetzt! durchfuhr es Siegfried wie ein Befehl, den er sich selbst erteilte. Er sprang hinter dem Felsen hervor, umschlang das fremde Wesen mit der Linken und riß es zu Boden. Er spürte glatte Haut, die an einen Aal erinnerte.
    Siegfrieds Rechte mit dem Dolch fuhr nieder, aber der Stahl traf nicht sein Ziel, sondern fuhr bis zum Heft ins Erdreich. Mit unglaublicher Gewandtheit hatte sich das Wesen Siegfrieds Griff entzogen.
    Das Herz klopfte, der Atem rasselte. Die Handflächen waren feucht. Wasser oder Schweiß? Jeden Augenblick rechnete Siegfried damit, daß sich scharfe Fänge in seinen Nacken bohrte, daß der Haken oder das Netz des Flußgeistes ihn mit unwiderstehlicher Gewalt in den Rhein zog.
    Er sprang zur Seite, um dem Feind kein sicheres Ziel zu bieten, und umklammerte den Dolchgriff so fest, daß es fast schmerzte.
    »Du mußt wirklich feindselige Gedanken gegen mich hegen, Siegfried«, sagte voller Verwunderung eine hohe Stimme. »Anders kann ich mir nicht erklären, daß du heute schon zum zweitenmal versucht hast, mich mit deinem Stahl zu durchbohren!«
    Keine drei Schritte vor Siegfried stand Otter, vollkommen nackt, die dunkelbraunen Augen weit aufgerissen und fragend auf den Freund gerichtet. Wassertropfen glitzerten auf seiner glatten, fast haarlosen Haut.
    Verwirrt stammelte Siegfried den Namen des anderen.
    »Du erkennst mich also, wie beruhigend«, meinte Otter mit einem langen Seufzer. »Oder willst du mich jetzt immer noch meucheln?«
    Siegfried schüttelte den Kopf. »Ich… ich hielt dich für einen…«
    »Für einen Flußgeist?«
    »Ja.« Siegfried nickte heftig.
    Otters Lachen ähnelte dem Zwitschern eines Vogels. »Es ist gefährlich, wenn man nachts am Fluß sitzt, mein Freund. Man hört Stimmen, die nicht da sind. Und sieht Wesen, die es nicht gibt.«
    »Und nachts im Fluß zu baden ist nicht gefährlich?«
    »Für mich nicht. Ich bin ein guter Schwimmer. Hätte ich gewußt, daß du auch zum Fluß kommst, hätte ich auf dich gewartet.«
    Nicht viele wagten es, im dunklen, rätselhaften Rhein zu baden. Schon gar nicht nachts!
    Während Siegfried noch den Mut des Freundes bewunderte, ging Otter zu einem der nahen Felsen und hob seine Kleider auf. Er rieb sich mit dem Hemd trocken, zog sich an und sagte nach einem heftigen Gähnen: »Ich bin müde wie ein Ackergaul nach dem Pflügen. Wird Zeit, daß ich mich aufs Ohr haue. Kommst du mit?«
    »Nein, ich bleibe noch ein wenig.«
    »Aber nicht zu lange!« ermahnte ihn Otter. »Sonst siehst du wieder Gespenster. Einen dritten Mordanschlag überlebe ich vielleicht nicht.« Siegfried
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