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Nibelungen 05 - Das Runenschwert

Titel: Nibelungen 05 - Das Runenschwert
Autoren: Jörg Kastner
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hören, auch wenn es nur die eigene war.
    Sein Lachen erstarb schlagartig, als ein anderer Laut an seine Ohren drang: ein langgezogenes Heulen, das er nur zu gut kannte. Ein Wolf!
    Die Hand des Jünglings umfaßte den silberbeschlagenen Dolchknauf an seiner Hüfte, die einzige Waffe, die er mitgenommen hatte. Er war kein Ritter, verfügte nicht über Schwert noch Lanze. Gewiß, nirgendwo in den Niederlanden fand man so viele gute Waffen wie in der Schwertburg. Aber er hatte sich beeilen müssen, und niemand durfte seinen nächtlichen Ausflug bemerken. Deshalb trug er nur seinen Dolch bei sich.
    Er schnalzte mit der Zunge und trieb Graufell bergan. Wenn ihn die Wölfe hier im Wald erwischten, hatte er kaum eine Aussicht, ihnen zu entkommen. Aber in der Burg mochte es Möglichkeiten zur Verteidigung geben, vielleicht sogar Waffen!
    Mit klopfendem Herzen galoppierte er auf den Hügel. Ein anderes Pferd hätte am Zügel geführt werden müssen, aber Graufell erkletterte die Steigung mit dem Reiter im Sattel. Er hörte nichts außer dem Blutpochen und dem Getrommel des schnellen Hufschlags. Erst als er über die alte, morsche Zugbrücke in den Burghof ritt, stellte er fest, daß der Wolf verstummt war.
    Siegfried ließ den Grauen ruhig stehen und lauschte eine ganze Weile angestrengt.
    Nichts.
    Also hatte das Geheul gar nicht ihm gegolten!
    Beruhigt stieg Siegfried aus dem Sattel und band den Hengst an dem Brunnengerüst mitten im Hof fest. Graufell zeigte kaum Zeichen von Anstrengung. Stolz stellte der Reiter fest, daß er sich ein gutes Tier ausgewählt hatte.
    Die Krone der mächtigen Eiche wies ihm den Weg. Ein überdachter Gang führte zu ihr. Langsam setzte der Jüngling einen Fuß vor den anderen. Er zögerte, weil er nicht wußte, was ihn am anderen Ende des Ganges erwartete. Er kannte nur Geschichten, Legenden.
    Würde er wirklich seine Vergangenheit finden – und seine Zukunft?
    Im letzten Drittel des Ganges hielt er plötzlich an. Wie aus dem Nichts war etwas vor ihm aufgetaucht.
    Ein Wesen, riesenhaft, dunkel, bedrohlich.
    Es verfügte nur über ein einziges Auge, aber das war groß und rot, wie von flüssigem Feuer erfüllt. Und es starrte Siegfried an.
    Aus der Fratze des Untiers, das langsam auf ihn zuschlich, wurde vor seinem geistigen Auge das Gesicht des Schmieds. Und aus dem Feuerauge wurde die Esse mit den glühenden Kohlen, die Reinholds eher grauen Zügen einen rötlichen Schimmer verliehen.
    Siegfried hatte Reinhold getäuscht und betrogen, in mehrfacher Hinsicht. Er hatte sein Versprechen gebrochen, nicht nach dem Runenschwert zu suchen.
    Der Mond brach durch die Wolken, und ein Gesicht tauchte auf den Wellen auf. Ein Gesicht, das ihm sehr vertraut war.
    Das Gesicht seines Vaters!
    Nur ein Spiel des geisterhaften Mondlichts auf den Wellen des Rheins? Oder wirklich Siegmunds Antlitz, wie Siegfried es trotz der verstrichenen Jahre gut erinnerte?
    Die Lippen öffneten sich, aber Siegfried hörte keine Worte. Nur das Rauschen und Gurgeln des Stroms.
    Er stand vom Felsen auf und lief zum Wasser, bis er mit den Füßen im Fluß stand. Doch eine tiefschwarze Wolke verschluckte den Mond, und das Gesicht verschwand in den Tiefen des Rheins.
    Wenn die Rune Gebo Siegfried den Weg zum Runenschwert wies, konnte auch Siegmunds Gesicht keine andere Bedeutung gehabt haben. Von diesem Gedanken beseelt, konnte Siegfried nicht anders, als heimlich Graufell zu satteln und auf Schleichwegen aus der Schwertburg zu führen. Mit einem Pferd wie dem Grauen mußte es gelingen, im Schutz der Dunkelheit zur Wolfsburg und wieder zurück zu kommen.
    Und damit hatte er noch ein Versprechen gebrochen: Er hatte Graufell, für den zu sorgen er versprochen hatte, in Gefahr gebracht. Zu drängend war sein Wunsch, mit dem Runenschwert das Erbe seines Vaters in Händen zu halten. Es war wenig genug, was ihm von Siegmund geblieben war.
    Würde Sieglind nicht stolz sein, wenn sie ihren Sohn mit dem berühmten Schwert des verstorbenen Gemahls erblickte?
    Und wäre es nicht ein Beweis, daß die Götter – welche auch immer – dem König vergeben hatten?
    Wenn dem so war, würden die Götter nicht verhindern, daß Siegfried sich das Runenschwert holte. Er, Siegfried von Xanten, würde die Ehre seines Vaters wiederherstellen!
    Das alles ging ihm durch den Kopf, während das Untier langsam näherschlich – ein schwarzes Wesen in finsterer Nacht. Das große rote Glutauge blickte bedrohlich.
    Siegfried begann zu begreifen, daß er sich
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