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Neville, Katherine - Der magische Zirkel

Titel: Neville, Katherine - Der magische Zirkel
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einer Bemerkung veranlaßt.
    «Es scheint, dein Neffe, unser geliebter Jesua ben Josef von Nazareth, Sohn eines bescheidenen Zimmermanns, ist größenwahnsinnig geworden, mein lieber Josef», sagte er mit aufreizend salbungsvoller Stimme. «Statt der Führer zu sein, der Lehrer, robb, Meister, der gesalbte König oder was es sonst noch war, worauf deine Genossen hier gehofft haben, scheint er sich zu einem Verrückten gemausert zu haben, der glaubt, sein Stammbaum gehe auf den einen wahren Gott zurück und daß er darüber entscheiden könne, wer leben und wer sterben soll. Ich frage mich, wie ein solcher Gedanke in seinem verwirrten Hirn entstehen konnte.»
    Er sah Josef hohnlächelnd an. Josef wußte sehr wohl, daß viele hier, auch wenn sie schwiegen, die Meinung des Hohenpriesters teilten. Denn Gott war nicht zu beschreiben und nicht körperlich greifbar. Gott konnte nicht Fleisch werden.
    Wie hatte das nur geschehen können? dachte Josef. In einem einzigen Jahr hatte sich seine Welt verkehrt.
    Josef mußte sofort mit dem Meister sprechen. Er kannte ihn besser als jeder andere. Er kannte die Reinheit seiner Seele, und er mußte ihn sprechen, bevor es zu spät war.
    Freitag

    Es gab in diesem Teil des Hügellandes nur einen einzigen Ort, wo sich der Meister aufhalten konnte, und das war in der Stadt Bethanien im Haus von Lazarus von Magdali und seinen Schwestern Miriam und Martha.
    Wenn Josef an die Schwestern von Magdali dachte, überkam ihn stets ein zwiespältiges Gefühl. Miriam – oder Maria, wie die Römer sie nannten – erinnerte ihn an all die Fehler, die er im Lauf seines Lebens gemacht hatte, als Jude und als Mann. Er liebte sie – das stand außer Frage –, in jeder Hinsicht und wie ein Mann eine Frau lieben sollte. Aber Miriam liebte einen anderen. Und nur Josef von Arimathäa wußte – im Gegensatz zu vielen anderen, die nur eine Vermutung hegten –, daß es der Meister war, den sie liebte. Josef konnte es ihr nicht verübeln, denn er liebte ihn auch. Deshalb hatte er sich Miriam nie erklärt und würde es auch nicht tun, solange der Meister lebte.
    Aber er schickte einen Boten nach Bethanien, um sich zum Abendessen einzuladen, und Martha ließ ihn in einem vertraulichen Antwortschreiben wissen, daß der Meister am Donnerstag aus Galiläa herunterkommen wollte und sie für Freitag ein Gastmahl und ein leichtes Abendessen vorbereiten werde, denn dann habe der Meister etwas Wichtiges zu verkünden.
    Am Freitag vormittag fuhr Josef nach Bethanien hinaus, das nur wenige Meilen hinter Gethsemane lag. Als er unterhalb des Hauses anhielt, sah er eine weiße Erscheinung mit ausgebreiteten Armen den Hügel herunterkommen. Es war der Meister – aber er schien seltsam verwandelt. Er war umgeben von vielleicht hundert Menschen – wie gewöhnlich waren die meisten Mädchen und Frauen –, die alle weiß gekleidet waren, Blumensträuße im Arm hielten und auf seltsame, aber bezaubernde Weise sangen.
    Josef saß sprachlos in seinem Wagen. Als der Meister auf ihn zuging, flossen seine Kleider wie Wasser um seine Glieder. Er blickte Josef in die Augen und lächelte. Josef sah ihn – nur in diesem einen Augenblick – als das kleine Kind, das er einmal war.
    «Liebster Josef», sagte der Meister, während er Josefs Hände nahm und ihn vom Wagen herunterzog, «wie hat mich nach dir gedürstet. Wirst du bei mir bleiben?»
    «Ja, ich bleibe zum Abendessen – und über Nacht», sagte Josef. «Martha hat alles vorbereitet. Und ich werde bleiben, so lange du willst. Wir müssen wirklich miteinander reden.»
    «Ich meine, wirst du bei mir bleiben?» wiederholte der Meister lächelnd, aber in einem Ton, als wäre er in Gedanken weit fort. Und Josef lief es eiskalt über den Rücken.
    «Laß uns ins Haus gehen», sagte er rasch. «Wir haben uns sehr lange nicht gesehen, und es gibt viel zu besprechen.»
    Josef schickte die anderen fort und ging mit dem Meister zum Haus hinauf. Er würde jemand schicken, der sich um die Pferde kümmerte. Sie erreichten den Säulengang des großen und weitläufigen Steinhauses.
    Sie fanden Martha, die ältere Schwester, bei den Lehmöfen an der Rückseite des Hauses, wo sie, das geflochtene Haar mit einem Tuch bedeckt, mit erhitztem Gesicht geschäftig hin und her eilte.
    «Heute gibt es einen Festschmaus», rief Martha den beiden Männern entgegen, die sich zwischen den mit Tabletts beladenen Dienerinnen ihren Weg bahnten, um Martha zu begrüßen. «In Wein marinierten Fisch», fuhr
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