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Neva

Neva

Titel: Neva
Autoren: Sara Grant
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»Wer ist denn das?« Sie löst sich von mir und geht zur Wiege.
    »Das ist Jane.«
    Sanna beugt sich über das Bettchen, streichelt Janes Rücken und betrachtet die Kleine wie gebannt.
    Fast ärgere ich mich ein wenig darüber, dass sie mich unterbrochen hat. »Warte bitte kurz auf mich. Ich bin gleich zurück.«
    Ich schleiche ins Elternschlafzimmer und trete an die Kommode meiner Mutter. Sie ist aus solidem Eichenholz und ein Erbstück ihrer Mutter. Die Schrammen nach Jahren des Gebrauchs verschmelzen mit der natürlichen Maserung und lassen das Möbelstück irgendwie noch stabiler wirken. Ich ziehe die oberste Schublade auf und schiebe mein Tagebuch unter Mutters beigefarbene Baumwollslips. Ganz unten in der Lade blitzt etwas Farbiges auf – etwas Rotes und Rosafarbenes, das mich an Nagellack erinnert. Und als ich das Buch unter einigen Wäschestücken vergrabe, kann ich nicht verhindern, dass ich das aufdecke, was darunter verborgen ist – Dessous! Meine Mom besitzt zwei Spitzenslips, und zwar keine im Stil alter Damen, bei der die Spitze einfach auf ein Baumwollhöschen genäht wurde. Diese Wäsche ist durchsichtig und figurbetont. Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, ob ich mir meine Mutter in sexy Unterwäsche vorstellen will. Wie ist sie überhaupt an solche Kleidungsstücke gekommen? Wieder ein Rätsel um sie, das ich nicht mehr lösen werde. Ich lege die Slips dorthin zurück, wo ich sie gefunden habe. Da habe ich jahrelang geglaubt, sie sei nicht der Typ für etwas anderes als beigefarbene Schlüpfer, und dann das: Unter ihrer Tarnung als biedere Mutter versteckt sie einen Hauch von rosa Spitze.
    Als ich in mein Zimmer zurückkehre, hält Sanna Jane im Arm. Sie wiegt die Kleine genauso, wie meine Mutter es eben getan hat. Auch sie summt, während ihr Blick in die Ferne gerichtet ist.
    »Ich weiß, was sie mit mir gemacht haben«, erklärt sie, ohne mich, ohne irgendetwas anzusehen. »Sie haben mich untersucht. Und gesagt, dass ich so weit wäre.« Ein halbes Lachen. »Glück muss man haben, was, Neva? Da erwischen sie mich doch glatt genau im richtigen Moment.« Sie wiegt sich noch immer. »Und dann haben sie mich auf einem dieser komischen Schmetterlingstische festgeschnallt.«
    Ich weiß, was sie meint. Mir läuft ein Schauder über den Rücken bei dem Gedanken an den Untersuchungstisch mit den Stützen, die meine Beine wie Schmetterlingsflügel auseinanderhielten.
    »Ich wusste, was sie da taten, und ich konnte sie nicht daran hindern.« Sie küsst Jane und legt das schlafende Baby zurück in die Wiege. »Ich kann es spüren. Es wächst.« Sie legt sich die Hand auf den Unterbauch.
    Ich mache einen Schritt auf sie zu. »Ich bringe dich von hier weg.« Ich komme noch näher. »Wir verlassen Heimatland für immer.«
    Sie sieht mir in die Augen. »Und Braydon?«
    »Braydon kommt nicht mit.« Ich schlucke. Seinen Namen auszusprechen bereitet mir Mühe. »Braydon arbeitet für die Regierung.«
    Sie nickt unbeeindruckt, als hätte sie es schon längst gewusst.
    »Sanna, Braydon hat Befehle, uns an die Polizei auszuliefern. Man will ein Exempel an uns statuieren.«
    Sie blinzelt und mustert mich eingehend, äußert sich aber nicht dazu.
    »Wir müssen noch heute Nacht fort.« Ich strecke den Arm aus und will ihn um sie legen, doch sie weicht mir aus.
    »Ich kann nicht«, erwidert sie und breitet die Arme schützend über ihren Bauch.
    »Hast du mich nicht verstanden? Die Polizei sucht uns. Wir können nicht bleiben.«
    »Sie hat recht«, fügt Mom hinzu, als sie ins Zimmer kommt, und gibt mir eine braune Papiertüte. »Für später.«
    »Danke, Mom.«
    Sie legt einen Arm um mich, den anderen um Sanna. »Ihr müsst beide fort.«
    Sanna schmiegt sich in Moms Arm. »Ich gehe nicht.«
    Mom und ich wechseln einen Blick und schauen dann Sanna an. Sanna richtet sich kerzengerade auf und löst sich von uns. »Ich sagte nein.« Mit ihren tränenverschmierten Wangen sieht sie so unschuldig aus wie Jane. »Lasst sie doch ein Exempel an mir statuieren.« Sie zupft an ihrem Hemd. »Dann sehen alle, was man mir angetan hat.«
    »Aber …«, beginne ich stammelnd. In ihren Augen blitzt ein Funken der alten Sanna auf. »Also bleibe ich auch.«
    »Nein«, sagen Sanna und Mom einstimmig.
    »Aber …«, versuche ich es wieder, doch Sanna wehrt ab.
    »Nev, du sollst nicht so enden wie ich. Geh und finde heraus, was da draußen ist.« Sie hebt den Blick zum Himmel.
    »Ich kann dich hier unmöglich zurücklassen. Nicht so.« Ich
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