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Neva

Neva

Titel: Neva
Autoren: Sara Grant
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und einen Stift und legt beides vor mich auf den Tisch. Ich hätte eine Feder erwartet, die in mein Blut getaucht wird, oder etwas ähnlich Dramatisches, aber offenbar soll ich die Abtretungserklärung für mein Leben mit einem Billigstift aus Plastik unterzeichnen – wie poetisch. Ich rolle den Schreiber zwischen meinen Fingern. Durch den klaren Kunststoff sehe ich, dass er fast leer ist. Wie viele Menschen mögen hier schon kapituliert haben? Ich bin erstaunt, dass man mir keinen detaillierten Regelkatalog zur Unterschrift vorlegt. Tatsächlich sind es bloß wenige schlichte Sätze.
    Hiermit gelobe ich feierlich, mich wieder voll und ganz Heimatland zu verschreiben. Ich bin Bürger und Patriot. Ich stelle mein Dasein in den Dienst der Regierung und unserer Lebensart. Ich sehe ein, dass es ein Fehler von mir gewesen ist, unsere Zivilisation zu gefährden. Außerhalb der Protektosphäre gibt es nichts. Ich gebe meinen bisherigen Widerstand auf und werde von nun an die Gesetze befolgen, die seit Generationen in Kraft sind. Ich schwöre Heimatland bedingungslose Treue.
    Ich nehme den Stift in die Hand. Es ist ja nur mein Name. Zwei Wörter, die zwar mich repräsentieren, aber nichts bedeuten. Hingekritzelte schwarze Striche, die den Mörtel, das Fundament der Protektosphäre festigen – was für einen Unterschied macht ein Name mehr oder weniger? Ich berühre mit der Mine das Blatt. Die schwarze Tinte fließt wie Blut in das Papier hinein. Der Punkt wächst. Ich finde nicht die Kraft, um meine Hand zu rühren, um die präzisen, kleinen Bewegungen zu vollführen, mit denen ich meine Unterschrift auf den Bogen setze. Vor meinem inneren Auge sehe ich meinen Namen auf der Linie. Den Namen, den meine Großmutter mir gegeben hat.
    Großmama würde nicht unterzeichnen. Wenn ich das tue, haben sie gewonnen. Wenn ich das tue, dann bin ich nicht besser als Ethan oder Braydon oder mein Vater. Allein kann ich weder die Regierung ändern noch die Protektosphäre öffnen, aber jeder noch so kleine Akt des Widerstands zählt. Manchmal kann eine einzige Schneeflocke eine Lawine auslösen. Ich lasse den Stift los. Er fällt klappernd auf die Tischplatte.
    Vielleicht wird von mir nichts bleiben als der schwarze Tintenfleck auf unserer sauberen, weißen Geschichtsweste. Allerdings ist das möglicherweise schon genug.
    »Ich kann das nicht«, sage ich und lege meine Hände flach auf den Tisch. Ich ergebe mich nicht.
    Papier und Stift werden mir wieder weggenommen. Das Licht geht aus. Aber ich habe keine Angst mehr.

[home]
    33 . Kapitel
    M ein Vater sieht mich nicht an. Und darüber bin ich froh. Nach allem, was ich bisher durchgemacht habe, könnte ich seine so typische enttäuschte Miene nicht ertragen. Ich sitze aufrecht da und zucke nicht mit der Wimper, als man mir die Handschellen und das orangefarbene Armband abnimmt. Die Wachen hieven mich auf die Füße, und ich schüttele sie ab. Dad trägt das Haar zurückgekämmt. Er ist glattrasiert. So ordentlich und gepflegt habe ich ihn nicht mehr erlebt, seit Großmama verschwunden ist.
    Mein Dad gibt sich keine Mühe, sich in meiner Gegenwart zu verstellen. Er spricht mit einem Mann, der zu einem dunkelblauen Anzug ein dunkelrotes Hemd und Krawatte trägt. Die Wachleute nicken bei allem, was er sagt. Er ist etwas größer als mein Dad. Die beiden unterhalten sich wie alte Freunde und reden über das Wetter, als stünde ich nicht hier und wartete auf meine Henkersmahlzeit. Der Mann im blauen Anzug schickt die Wachtposten hinaus. Nun gehen die beiden näher aufeinander zu. Auch ich bewege mich fast unmerklich vorwärts, um ihre gesenkten Stimmen besser hören zu können.
    »Tut mir leid, dass es so kommen musste, George«, sagt der Mann im Anzug. »Aber ich wollte dich in jedem Fall informieren.«
    »Danke, Harold. Ich weiß, dass ich viel verlange, aber das Mädchen trägt keine Schuld daran.« Dads Stimme ist tief und freundlich.
    »Ich bin mir nicht sicher, ob ich eine Ausnahme machen kann.« Der Mann legt meinem Dad eine Hand auf die Schulter und drückt sie kameradschaftlich. »Das verstehst du, nicht wahr?«
    Wie beiläufig schüttelt mein Vater die Hand des anderen ab. »Harold, ich verstehe eine Menge. Wir alle begehen hin und wieder Fehler, die wir gern rückgängig machen würden.« Er hält kurz inne. »Manche sind mit Leuten verwandt, die gegen die Protektosphäre gestimmt haben. Keine Tatsache, die ich im Umlauf wissen wollte, falls ich bei der nächsten Abgeordnetenwahl
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