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Neunerlei - eine Weihnachtserzählung

Neunerlei - eine Weihnachtserzählung

Titel: Neunerlei - eine Weihnachtserzählung
Autoren: dtv
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darauf, wer oder was es war.
    »Ja, Piment oder Nelkenpfeffer oder Jamaikapfeffer. Welchen Namen auch immer man vorzieht.«
    Ich musste sie wie versunken angesehen haben, denn sie fuhr fort, wohl in der Annahme, dass ich ein wenig schwer von Begriff war und immer noch nicht verstanden hatte.
    »Ein beliebtes Universalgewürz. Für Suppen und Fleisch, Gemüse, Braten, aber auch für Weihnachtsgebäck. Macht die Speisen bekömmlicher und fördert die Verdauung.«
    Ich nickte und unter ihrem Blick spürte ich, wie auch ich rot wurde. Ich brachte ein unsicheres Lächeln zustande, bedankte mich ein wenig zu überschwänglich, wie es meine Art war, wenn mir jemand einen Gefallen tat, und sei er noch so klein, und sah sie das Lächeln erwidern. Als ich bereits an der Tür war, wehte kaum hörbar ihre Stimme zu mir herüber: »Woher haben Sie das Körnchen denn?«
    »Von einem Grab«, sagte ich, verließ den Laden und hätte mich ohrfeigen können.

Als Apothekerin lernte ich die unterschiedlichsten Menschen kennen. Am vertrautesten waren mir damals die »Dauermedikamentierer«, zu denen sowohl Frauen als auch Männer gehörten. In ihrer Gegenwart fühlte ich mich sicher. Sie waren fast jede Woche da, manchmal mehrmals, mit neuen Rezepten, mit ähnlichen Rezepten, mit Fragen zu den neuen Rezepten oder einfach zum Reden. Die »Dauermedikamentierer« hatten ein ungesundes Aussehen: eine graue Gesichtsfarbe oder geplatzte Äderchen auf Wangen und Nase. Eine andere Gruppierung bildeten die »Schüssler-Schamanen«, meist Frauen oder Mütter, die Globuli oder auch mal die braunen 200er-Fläschchen mit Ferrum oder Kalium in verschiedenen Potenzen besorgten. Und dann die Fraktion der »Hardcore-Mütter«, die medikamentös aufs Ganze gingen und regelmäßig – für sich selbst und für den Nachwuchs   – Antibiotika und Tropfen für Nase und Ohren besorgten, manche gleich auf Vorrat. Und natürlich noch die |19| Allergiegeplagten – ein relativ bunter Haufen   –, die meist mit dem ersten Pollenflug in meine Apotheke geweht wurden. Schließlich gab es noch die Streukunden, die nicht spezifizierbare Gruppe der Gemischtkäufer, die dieses und jenes erwarben. Der Mann mit den Pimentkörnern gehörte zu keiner dieser Gattungen.
     
    Die Arbeit in der Apotheke machte mir die meiste Zeit Freude, und auch sonst ging es mir gut. Aber aus einem mir nicht ersichtlichen Grund hatte ich in den letzten Monaten hin und wieder Träume, die mich unruhig erwachen ließen. In diesen Träumen saß ich neben meinem Vater auf dem Sofa und trank Bier. Das allein war schon verwunderlich genug, da ich niemals Bier trank. Es war nicht so, dass ich Bier verabscheute, ich machte mir nur nichts daraus. Im Traum trank ich also Bier und saß neben meinem Vater auf dem Sofa und wir sahen uns ›Wetten, dass ..?‹ an, was der zweite Fauxpas dieses Traumes war, da ich die Sendung seit meiner Kindheit (als sie noch von einem anderen moderiert worden war) nicht mehr gesehen hatte. Ich saß also auf dem Sofa, diesem beigen Feincordsofa meiner Kindheit, trank Bier und schaute ›Wetten, dass ..?‹ an, als plötzlich draußen ein riesiger Truck vorüberfuhr und ich auf einmal wusste, dass darin meine |20| Mutter saß. Ich sprang auf, kippte das Bier um und rannte hinaus. Ich musste sie erwischen, um alles in der Welt musste ich sie erwischen! Doch als ich endlich auf der Straße stand, sah ich nur noch die Rücklichter. Da überkam mich eine derartige Traurigkeit, eine Gewissheit, nun für immer hier bleiben zu müssen, neben meinem Bier trinkenden Vater zu sitzen und ›Wetten, dass ..?‹ anzusehen. Als ich erwachte, spürte ich eine seltsame Mischung aus Ratlosigkeit und Wut. Vielleicht weil ich mich daran erinnerte, dass ich als Kind Träume gehabt hatte.
    Als Kind träumte ich eine Zeitlang davon, einen Teeladen zu haben, als Jugendliche war es ein Delikatessengeschäft und später, noch während des Studiums, wünschte ich mir manchmal ein Pralinengeschäft, irgendetwas feines Kleines, Erlesenes. Sinnliches. Der Wunsch mit den Pralinen kam später noch einmal auf, und zwar nachdem ich mir im Kino den Film ›Chocolat‹ angesehen hatte, fünfmal, um genau zu sein, und ich ständig glaubte, den Geschmack von Chilischokolade auf der Zunge zu spüren. In dieser Zeit träumte ich davon, Juliette Binoche zu sein. Was natürlich an sich schon eine große Veränderung bedeutet hätte, da Juliette Binoche schön ist und elegant, und ihre sanften Augen verbreiten
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