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Neunerlei - eine Weihnachtserzählung

Neunerlei - eine Weihnachtserzählung

Titel: Neunerlei - eine Weihnachtserzählung
Autoren: dtv
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schon in der Tür, in verwaschenen Jeans und T-Shirt , barfuß. Er sah sehr gut aus, tatsächlich irgendwie indianisch, und auf einmal kam ich mir lächerlich vor, eine skurrile kleine Frau, die Sami zwar nett fand und hilfsbereit, aber ansonsten sicher uninteressant. Sami wäre doch viel eher ein S+-Kandidat für Ruth gewesen. Ich schluckte. Aber das Lächeln, mit dem er mich empfing, strafte diesen Gedanken Lügen. Sein Lächeln sah so aus, wie ich mich fühlte: unsicher und ein wenig verlegen. Er trat zur Seite, ließ mich eintreten und sagte: »Ha… halloo!« Dann verstummte er wieder.
    Ich sah mich um, nicht allzu auffällig, wie ich hoffte, wollte ich doch auf keinen Fall, dass er mich für neugierig hielt. Seine Wohnung war ein einziges großes Zimmer und hatte etwas von einer Studentenbude an sich: einer Studentenbude, die angefüllt war mit unzähligen Büchern. Sami wirkte immer noch gehemmt, was mir das Gefühl gab, ein Eindringling zu sein, und so fühlte auch ich mich gehemmt und wir standen ein wenig vertrottelt im Raum herum, er an einem Platz vor dem Bücherregal, den er auf keinen Fall aufzugeben gedachte, ich mitten im Zimmer.
    »Tja«, sagte ich. »Ich wollte dir eigentlich nur |86| von einer Idee erzählen, die ich hatte. Aber ich wollte dich auch nicht stören. Du bist mitten in der Arbeit.« Auf einem Monitor blinkte der Cursor in einem Text, an dem er wohl gerade geschrieben hatte.
    »Du störst überhaupt nicht,« sagte Sami und rührte sich nicht vom Fleck. Was war bloß mit ihm los?
    »Ich kann später wiederkommen.« Am besten, ich komme gar nicht mehr. »Oder du rufst mich einfach an, wenn du fertiggeschrieben hast.«
    Ich drehte mich um mich selbst, ließ die Arme baumeln, bewegte mich mit gespielter Langeweile durch den Raum und kam zufällig vor dem PC zu stehen. Mit einem gewaltigen Ausfallschritt trat Sami neben mich, aber ich war bereits dabei, den Satz auf dem Bildschirm zu lesen:
    »Die junge Gräfin schüttelte ihre blonde Lockenmähne, sodass diese wie ein Wasserfall ihren Rücken hinunterregnete, griff mit ihren behandschuhten Händen nach der Gerte, schwang sich auf den schwarzglänzenden Rücken des edlen Rappen und ritt in wildem Galopp, ohne sich noch ein einziges Mal nach dem zur Salzsäule erstarrten Baron umzusehen, davon.«
    Ich sah Sami an, Sami sah mich an, und dann |87| erst blickte ich hinüber zu der Stelle, an der Sami eben noch gestanden hatte: Das ganze Regal quoll über von Heftromanen, und ganz rechts lagen die von Tamara Sommerblum.

Am 21.   Dezember stand ich zur Sicherheit schon in der Morgendämmerung auf dem Friedhof, wieder mit meinen beiden Thermoskannen, doch diesmal in vierfacher Schicht mit Sibirienmütze und Militärmantel, denn eine klirrende Kälte hielt die Stadt in ihrer Umklammerung. Gegenüber dem Friedhof war ein Weihnachtsmarkt, dessen Buden verloren am Rande eines kleinen Parks herumstanden. Es war wirklich sibirisch, ich fror, und ab und an wehte der Wind die Takte eines Weihnachtslieds zu mir herüber. Während ich hin- und herging, dachte ich an Katharina. Sie hatte gesagt, sie habe schon Hefte von Tamara Sommerblum gelesen. Und wie sie dabei gelächelt hatte, so nett und lieblich. Leute wie ich würden das Leben anderer ein wenig bunter machen, hatte sie gesagt. Und sie hatte von ihrem Plan berichtet: Sie wolle die eine Hälfte der Apotheke zu einem Gewürzhandel umbauen, mit Schwerpunkt auf der Heilkraft der Gewürze. |89| Dafür wolle sie mich ganz offiziell mit dem Erstellen von Texten beauftragen, die das Vorhaben ins rechte Licht rücken sollten. Ich sah ihr Lächeln vor mir und wärmte mich noch jetzt daran, und darüber verging die Zeit trotz der Kälte wie im Fluge.
    Mein mitgebrachter Zimttee ging zur Neige und ich hatte inzwischen ein paar Ideen für Katharinas Gewürztexte entwickelt, nicht ohne die Stelle im Auge zu behalten, an der die alte Dame vorbeikommen musste. Stunde um Stunde war vergangen, und als auch dieser Tag zu Ende ging, gelangte ich zu der Ansicht, mein Warten sei vergeblich gewesen. Ich packte die Thermoskannen ein, schulterte meinen Rucksack, den ich im Gebüsch versteckt hatte, und wollte gerade aufbrechen, als ich die schleifenden Schritte vernahm.
    »So warten Sie wieder auf mich, junger Mann?«, hörte ich die Stimme, bevor ich die Frau sah. Ich fuhr herum, sah in ein uraltes Gesicht, aus dem zwei Äuglein mich anblitzten. »Diesmal bringe ich Nelken. Wollen Sie mich das letzte Stück nicht
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