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Neun Zehntel (Deutsch) (German Edition)

Neun Zehntel (Deutsch) (German Edition)

Titel: Neun Zehntel (Deutsch) (German Edition)
Autoren: Meira Pentermann
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schmutzige Sneakers. Der Junge sah aus, als wäre er um die fünfzehn. Leonard nahm an, dass es sein Sohn war. Abgesehen von den braunen Augen hatte der Teenager ohne Zweifel das Aussehen seines Vaters geerbt, nur der Hautton war etwas heller und die Nase etwas größer als bei seiner Schwester. Der Junge hatte mattbraunes, kurzes Haar, einige längere Strähnen hingen ihm jedoch wirr vor seinen Augen. Überheblichkeit und Jähzorn verzerrten seine feinen Gesichtszüge.
    „Ich möchte nichts von deinem blöden Pseudohackbraten.“
    Alina atmete tief ein und starrte ihren Sohn an. „Wenn du nicht mit uns zu Abend essen willst, musst du vorher anrufen.“
    „Was auch immer.“
    Leonard schaute Alina besorgt an. Ihr zuvor strahlendes Gesicht verfinsterte sich. Sie sah plötzlich um Jahre älter aus als zu dem Zeitpunkt, als Leonard sich an den Tisch gesetzt hatte.
    Der Junge schnappte sich einen Stuhl, drehte ihn herum, setzte sich verkehrt herum darauf und stützte sein Kinn auf der Rückenlehne auf.
    Alina zog eine Augenbraue hoch. „Setz dich anständig an den Tisch oder geh in dein Zimmer.“
    Garrett sprang unerwartet auf und brachte dabei den Stuhl zu Fall.
    Leonard nahm schließlich all seinen Mut zusammen. „Zeig deiner Mutter etwas mehr Respekt.“ Seine Stimme dröhnte durch den gesamten Raum. „Und stell den Stuhl wieder hin.“
    Der Teenager sah Leonard misstrauisch an. Schließlich formten sich seine dünnen Lippen zu einem Lächeln. „Sieh mal an, wem da über Nacht scheinbar ein paar Eier gewachsen sind.“
    „Sei still, junger Mann“, entgegnete Alina scharf.
    Garrett nahm die Hände in einer übertriebenen Geste hoch und tat so, als ob er nachgeben würde. „Ich mein ja nur.“ Der Junge stellte den Stuhl wieder auf, setzte sich und legte demonstrativ die Ellenbogen auf den Tisch. Er lehnte sich nach vorne, stützte sein Kinn auf die Hände und sah aus, als würde er sich zu Tode langweilen.
    Leonard zögerte. Sollte ich noch was anderes sagen? Ihm gefiel es nicht, von seinem imaginären Sohn tyrannisiert zu werden, aber er wollte nicht, dass der Traum durch Streitereien und Feindseligkeiten zerstört wurde. Die kostbaren Momente mit Alina machten ihn einfach zu glücklich. Er entschied, die Unterhaltung in eine andere Richtung zu lenken.
    „Also, Natalia. Was hat dieses BMSS 007934 zu bedeuten?“
    Das junge Mädchen starrte ihren Vater verwirrt an.
    „Auf deinem Pulli.“
    Natalia nickte langsam.
    Garrett machte sich über ihn lustig. „Ich wusste ja, dass du nicht ganz dicht bist, aber das ist einfach nur lächerlich. Du bist schließlich selbst auch zur 7934 gegangen.“
    „Damals wurde sie noch Ridgecrest genannt, Garrett“, erklärte Alina.
    „Genau. Ridgecrest. Damals gab es auch noch Leistungssport“, sagte Garrett und verzog dabei das Gesicht. Er schüttelte den Kopf. „Du musst aber trotzdem zugeben, dass der alte Mann die Schulnummer seiner Tochter kennen sollte. Das ist ja wohl nicht zu viel verlangt.“
    Ridgecrest. Meine Schule, dachte Leonard und kam sich plötzlich völlig beschränkt und fehl am Platz vor.
    „Und du hältst ihn auch noch für ein Genie, Mutter. “ Garret lachte. „Inzuchtler“, murmelte er.
    In Leonards Körper zog sich plötzlich alles zusammen. „Tut mir leid, muss ich wohl vergessen haben“, flüsterte er. „Ich werde scheinbar alt.“
    Er beobachtete die Gesichter am Tisch. Natalia starrte ihn an, verwirrt und fast schon ängstlich. Garrett hatte immer noch diesen selbstgerechten und unverschämten Gesichtsausdruck. Alinas Blick durchbohrte ihn und war mit unzähligen Gefühlen behaftet, die er nur schwer entziffern konnte. Zorn, nein. Besorgnis, ja. Fassungslosigkeit, definitiv.
    Der Traum war jetzt nicht mehr erfreulich, sondern beunruhigte Leonard vielmehr. Nachdem er einunddreißig Jahre von Tommy Richardson heimgesucht worden war, hatte er sich einen schönen Traum verdient. Dennoch, was sollte er mit einer Geschichte anfangen, die ihn an all das erinnerte, was er möglicherweise hätte haben können, wenn er diesen Weg gewählt hätte? Der feindselige Teenager hätte ebenso gut Leonards Unterbewusstsein sein können – wie es ihn als alten, unwissenden Mann entblößte und ihm zeigte, wie die neue Generation schon längst jene Welt übernommen hatte, die Leonard durch seine Obsession an sich hatte vorbeiziehen lassen.
    „Entschuldigt mich“, sagte er und stand auf. „Ich fühle mich nicht so gut.“
    Ohne noch einmal nach hinten zu
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