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Neumond: Kriminalroman (German Edition)

Neumond: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Neumond: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Daniela Larcher
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Zynismus.
    »Erzähl!« Valerie nahm ihre Sonnenbrille ab und beugte sich nach vorn.
    »Ja, erzähl!« Morell, der zwar absolut keine Lust auf irgendwelche Horrorstories hatte, war froh über jedes Gesprächsthema, bei dem es nicht um Pistenspaß und Hüttengaudi ging.
    »Eine Frau aus dem Ort hat sich heute Nacht umgebracht. Sie ist anscheinend in den Wald da hinten spaziert«, Leander drehte sich um und deutete auf den Wald, der nur wenige Meter von ihnen entfernt begann, »und hat sich in eine Schlucht gestürzt.«
    »Wie tragisch.« Valerie legte eine Hand aufs Herz. »Weiß man, warum sie es getan hat?«
    »Keine Ahnung.« Leander schüttelte den Kopf.
    »Es war sicher Liebeskummer«, nickte Valerie wissend und lächelte Morell an. »Wie gut, dass ich so einen lieben Mann wie dich habe.«
    Leander, der im Laufe seines Lebens schon mehr als nur ein Frauenherz gebrochen hatte, schielte verschämt zur Seite. »Vielleicht war auch einfach nur ihr Job zu deprimierend. Ich habe gehört, dass sie als Krankenschwester oben im Sanatorium gearbeitet hat.« Er zeigte auf ein großes, herrschaftliches Gebäude, das hinter ihnen an einem Berghang thronte. »Aber jetzt genug davon.« Er klatschte in die Hände. »Wir sind hier, um uns zu amüsieren. Habt ihr schon mitbekommen, dass unsere Pension einen Pool hat? Wir könnten …«
    »Was ist denn mit dem Sohn der Wirtin?«, lenkte Morell das Gespräch schnell wieder zurück auf ein sport- und badehosenfreies Thema.
    Leander zuckte mit den Schultern. »Angeblich hat er irgendeine spezielle Form von Autismus oder so. Wie auch immer – jedenfalls hat der Kleine mitgekriegt, dass die Krankenschwester heute Nacht gestorben ist und behauptet, dass es ein Tatzelwurm war.«
    »Ein was?« Morell verstand nur Bahnhof.
    »Du kennst den Tatzelwurm nicht?« Valerie zwickte ihn neckisch in den Oberarm. »Was bist du denn für ein Tiroler?«
    »Ein gestandener.« Morell schnappte sich ihre Hand und hielt sie fest. »Dann schließ mal meine Bildungslücke.«
    »Tatzelwürmer sind drachenartige alpenländische Fabeltiere. Man sagt, dass sie in Wäldern und Höhlen leben und schon so manchen Wanderer gefressen haben.«
    Morell streichelte Valeries Hand. »Der arme Junge behauptet also, dass ein Tatzelwurm die Krankenschwester umgebracht hat.«
    Leander lachte auf. »Und wie er es behauptet. Heute früh hat er angefangen ›Es war der Tatzelwurm‹ zu schreien und seitdem kaum noch damit aufgehört. Alle Gäste, die in der Nähe seines Zimmers wohnen, kriegen schon die Krise, wenn sie nur das Wort ›Tatzelwurm‹ hören.«
    »Kein Wunder, dass die arme Frau Oberhausner so fertig war.« Morell drehte den Kopf und ließ seinen Blick über die dunklen Tannen schweifen. Erst eine völlig aufgelöste Wirtin, ein grantiger Mitgast und kein Aufzug, und jetzt auch noch eine tote Krankenschwester, ein hysterischer Autist und ein mörderisches Fabeltier. Wo sollte das nur alles hinführen?

5
    Valerie hatte die ganze Nacht mit einem seligen Lächeln auf den Lippen vor sich hin geschlummert. Morell hingegen hatte kaum ein Auge zugetan – zu sehr waren seine Gedanken um klamme Finger, blaue Flecken und noch schlimmere Dinge, die man sich beim Wintersport holen konnte, gekreist.
    Es hatte fast schon gedämmert, als er endlich eingeschlafen war, und so kam es, dass ein äußerst müder Morell sich am nächsten Morgen zum Frühstück im Hotelrestaurant einfand. Er rieb sich die Augen, gähnte, hielt inne und schaute auf die Uhr: Es war gerade mal acht, und trotzdem herrschte hier drinnen bereits die vibrierende, wuselige Aufbruchstimmung, die man normalerweise von Ameisenhaufen kannte. Der ganze Raum schien in Bewegung zu sein. Menschen gingen zum Buffet, zum Fenster, auf die Toilette und wieder zurück, und auch jene, die an den Tischen saßen, schienen nicht stillhalten zu können – sie gestikulierten, lachten oder demonstrierten auf irgendeine andere Art und Weise, wie fit, agil und gut drauf sie bereits in aller Herrgottsfrüh waren.
    Hatten die Menschen in unserer schnelllebigen Zeit denn gar keine Wertschätzung mehr für Ruhe und einen gewissen Grad an Langsamkeit? Warum mussten die Ameisen-Leute ständig in Bewegung sein? Jeder Augenblick galt ihnen nur dann als wertvoll, wenn er zu etwas nütze war und ihrer Karriere, Fitness oder Schönheit diente. Dabei gab es doch nichts Angenehmeres als einfach mal nichts zu tun.
    Morell gähnte wieder und seufzte. Er wollte in seinem Urlaub nicht den
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