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Neues Glück für Gisela

Neues Glück für Gisela

Titel: Neues Glück für Gisela
Autoren: Berte Bratt
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der Leber weg plaudern und ihr von ihren kleinen Sorgen und Freuden erzählen. Rolf hatte keine Mutter. Armer Rolf! Ach, lieber Gott, wenn sie doch selbst so einen kleinen Sohn haben könnte, mit klugen blauen Augen und einem blonden Haarschopf! Selbst wenn er lahm oder mit sonst einem Körperfehler geboren wäre! Sie würde das Leben hell und gut für ihn gestaltet haben.
    Gisela fing an, sich auszumalen, was man alles für so ein kleines Stiefkind des Schicksals tun, was Liebe und Pflege und viel Geld an Freuden und Werten im Leben schaffen könnten.
    Dieser Gedanke war es, der ihr endlich Ruhe schenkte und sie in Schlaf sinken ließ.

„Wer kann, der kann“
     
     
    Ihre Wohnung, die ihr die Schule, die städtisch war, besorgt hatte, lag in einem Neubau, den die Stadt für die Lehrkräfte der Schule erstellt hatte. Es war eine moderne, praktische Wohnung von zwei Zimmern, Küche und Bad. Neu, zweckmäßig, langweilig, unpersönlich. Aber die Möbel hatte sie von daheim kommen lassen, und nun verbrachte sie ein paar Tage damit, sie zu stellen und diese zwei unpersönlichen Räume zu einem behaglichen, geschmackvollen und höchst persönlichen Heim zu gestalten.
    Dann machte sie dem Rektor einen Besuch und unterzog sich allen Formalitäten, die heute ein korrekter Mensch beim Zuzug in eine fremde Stadt zu erfüllen hat. Sie tat es aus Pflicht und ohne Freude. Sie wurde freundlich, wenn auch nicht herzlich empfangen.
    Dann kam endlich der erste Schultag.
    Sie bürstete ihr Haar und prüfte, ob ihr schlichtes Kleid auch so saß, wie es sollte. Munter ging sie in die Schule, aber als sie die Klasse betrat, hatte sie Herzklopfen.
    Dreißig Jungen sprangen hoch, dreißig Gesichter waren ihr zugewandt. Sie nickte lächelnd. Doch das Lächeln, das sie auf ihrem Gesicht zuwege brachte, war ein ängstliches, ein bittendes Lächeln. Und ihre Stimme zitterte ein wenig, als sie sagte: „Guten Morgen, Jungs. Setzt euch.“
    Vom Katheder aus blickte sie prüfend auf die Schar. Da blieb ihr Blick an einem Gesicht hängen, das sie kannte.
    „Wahrhaftig“, sagte sie, schon etwas forscher als zuvor, „da ist ja einer, den ich kenne. Guten Tag, Rolf. Kennst du mich wieder?“
    Das schmale Bubengesicht war aufmerksam auf sie gerichtet. „Ach… doch ja.“ Eine schwache Röte stieg in seine Wangen. „Denk mal an, wenn wir gewußt hätten, daß wir hier zusammen hausen würden! Da hätten wir vielleicht im Zug mehr miteinander zu reden gehabt. Ja, Jungs, ich bin also Fräulein Ryssel, und ich hoffe, wir werden gute Freunde sein. Ich verspreche euch jedenfalls, das Meine dazuzutun.“
    Die Worte waren gut und aufrichtig, aber die Stimme, diese ängstliche, kleine Stimme klang für diese Bubenschar doch zu hilflos. Gisela kam sich mit einem Male selbst so lächerlich jung vor gegenüber diesen robusten Bengeln. Plötzlich durchfuhr es sie: Was steckt wohl hinter diesen sommersprossigen, verschmitzten Gesichtern? Was für Streiche werden sie wohl aushecken?
    Im Lehrerzimmer holte Gisela Auskunft über Rolf ein. „Ach, das ist der Junge von Siebeneichen“, sagte Studienrat Krogsvik. „Vom Knabenheim Siebeneichen“, fügte er erklärend hinzu. „Es kommt vor, daß wir Schüler von dort haben. Wenn die Buben eine besondere Begabung zeigen, bekommen sie einen Freiplatz auf der Realschule. Wir haben noch ein paar andere von Siebeneichen in anderen Klassen.“
    „Rolf sieht so jung aus“, bemerkte Gisela.
    „Ich glaube, er ist auch der Jüngste in der Klasse. Jedenfalls fehlt es ihm nicht an Gehirnschmalz. Denn wenn wir wirklich einen Jungen von Siebeneichen hierherbekommen, dann ist es einer mit einem klugen Kopf. Die weniger Begabten müssen sich mit der Volksschule begnügen.“
    Also ein Junge aus einem Knabenheim! Und sie hatte zu ihm von seiner Mutter gesprochen. Oh, sie hätte sich die Zunge abbeißen mögen.
    Giselas Herz war voller Mitleid, und plötzlich hatte sie den Wunsch, dem kleinen lahmen Jungen etwas Gutes zu tun. Sie erfuhr, daß er einmal Kinderlähmung gehabt hatte. Daher also der lahmende Fuß.
    Ach, wenn es ihr doch gelänge, einen Berührungspunkt mit dem Jungen zu finden! Wenn sie doch jene Stelle in der kleinen Bubenseele fände, wo sie zugänglich war für all das Gute, mit dem sie ihn so herzlich gern überschütten wollte.
    Ja, wenn sie nur diese Stelle bei allen anderen dreißig Jungen finden könnte!
    Aber nach vierzehn Tagen war sie noch nicht viel weitergekommen, weder bei Rolf noch bei den anderen
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