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Nett ist die kleine Schwester von Scheiße

Nett ist die kleine Schwester von Scheiße

Titel: Nett ist die kleine Schwester von Scheiße
Autoren: Rebecca Niazi-Shahabi
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angeboten. Im Gegenteil: War Abendbrotzeit, forderten sie die meisten Mütter sogar auf, nach Hause zu gehen. Für sie war das schockierend, denn bei ihren Eltern durfte niemand das Haus verlassen, ohne etwas gegessen und getrunken zu haben.
     
    Kant hat sich immer für Ethik und niemals für Fragen des Benimms interessiert. Wie andere Leute ihr Glas Wein halten oder wer wen zuerst begrüßen sollte, kommt in seinen Schriften gar nicht vor. Immanuel Kant war vielmehr auf der Suche nach einer universalen Regel, einer Handlungsmaxime, welche für alle Menschen zu jeder Zeit gültig ist. Bis jetzt hat niemand etwas Besseres als den kategorischen Imperativ (KI) gefunden, obwohl auch der seine Schwächen hat. Der KI ist ein logisches Werkzeug, mit dem jeder Mensch selbstständig und einfach prüfen kann, ob das Prinzip seiner Handlung ethisch ist oder nicht.
     
    Überprüfen Sie folgende Szenarien anhand des kategorischen Imperativs:
     
    Szenario A:
    Ein Mann sieht einen Geldboten mit einer prall gefüllten Geldtasche aus einem Spielcasino herauskommen. Der Geldbote ist nicht bewaffnet und, noch viel wichtiger, er ist allein. Der Mann erkennt die Möglichkeit, dem Boten mit einem Ruck die Tasche zu entreißen und dann in der Menge zu verschwinden. Da Spielcasinos das Geld im Grunde genommen auch gestohlen haben und außerdem versichert sind, käme dabei niemand wirklich zu Schaden.
     
    So wenden Sie den KI auf dieses Fallbeispiel an:
    Der Mann bestiehlt das Casino, bringt also das Privateigentum des Spielcasinobesitzers an sich. Ziel dieses Diebstahls ist es, dieses Geld zu seinem Privateigentum zu machen – der Mann würde sich schön ärgern, wenn ihm an der nächsten Straßenecke das Diebesgut von einem Dritten wieder abgenommen werden würde – er also seinerseits seines Privateigentums beraubt werden würde. Das Verhalten des Mannes ist daher widersprüchlich.
     
    Der KI funktioniert in jedem Land, zu jeder Zeit, er gilt für Christen, Moslems oder Buddhisten gleichermaßen, und er kann von Königen oder Postbeamten angewendet werden. Und zwar ohne Vorbildung, ohne Kenntnis des Strafgesetzbuches, ohne Zuhilfenahme von Gott oder einer anderen moralischen Instanz.
     
    Kommen wir nun zu Szenario B.
     
    Szenario B:
    Ein Mann sieht einen Geldboten mit einer prall gefüllten Geldtasche aus einem Spielcasino herauskommen. Der Geldbote ist nicht bewaffnet und, noch viel wichtiger, er ist allein. Der Mann ist ein moderner Robin Hood und betrachtet Privateigentum als die Hauptursache von Ungerechtigkeit und den daraus entstehenden sozialen Konflikten. Er entreißt dem Mann die Geldtasche und verschwindet in der Menge. Anschließend verteilt er das Geld auf einem öffentlichen Platz an die Menschen.
     
    Nun ist das Verhalten des Mannes ein ganz anderes. Mit dem KI lassen sich in puncto Wertung sehr gegensätzliche Schlussfolgerungen ziehen: Derjenige, der das Privateigentum als eines der wichtigsten Menschenrechte betrachtet, wird zu einem anderen Ergebnis kommen als einer, der es als das größte Übel unserer Gesellschaft ansieht. Doch im wirklichen Leben geht es selten so eindeutig zu, Probleme tauchen meistens in Mischformen auf.
     
    Szenario C:
    Was wäre, wenn der Mann aus dem Szenario A einen schwerkranken Sohn zu Hause hätte und das Geld für eine teure Behandlung bräuchte? Auch Immanuel Kant hatte Verständnis für einen Mann, der stiehlt, weil er und seine Kinder in Not sind. Und bestimmt würde er auch zugestehen, dass eine Kleptomanin nicht unethisch, sondern unter Zwang handelt. Und dass der Diebstahl eines Jugendlichen aus einem sogenannten Problemviertel anders zu bewerten ist als die Steuerhinterziehung eines Großverdieners.
     
Stehlen Sie nie mehr,
als Sie brauchen!
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    Pfarrer Tim Jones aus York in England sieht das Thema Diebstahl ebenfalls differenziert. »Stehlen Sie nicht mehr, als Sie brauchen!« Mit diesen Worten riet er letztes Jahr seiner nicht gerade wohlhabenden Gemeinde, sich in Zeiten der Not mit Ladendiebstahl zu behelfen. Allerdings sollten die Gemeindemitglieder sich lieber bei großen Kaufhausketten als bei kleinen Familienbetrieben bedienen.
     
    Nun folgt das Argument, mit dem die Verteidiger der guten Manieren schlechtes Verhalten gern brandmarken, es lautet: »Wenn das alle täten …« Sie machen das aus dem Instinkt heraus, dass man, wenn man etwas Einzelnes verallgemeinert, sich damit automatisch auf dem Gebiet der Ethik befindet. Sicherlich kennt jeder dieses
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