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Netha-Chrome

Netha-Chrome

Titel: Netha-Chrome
Autoren: Janco Weiland
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bin nämlich auch bei den Bullen“, sagte ich und klang wie ein kleiner Junge, der das Mädchen der Nachbarin ärgerte. Am liebsten hätte ich ihr noch die Zunge herausgestreckt und Ätsch gesagt, aber das wäre wohl zu viel des Guten gewesen.
    Tijuana runzelte die Stirn. „Tse.“
    Ich schmunzelte und ging dann jeden einzelnen Namen in meiner Kontaktliste durch, erreichte jedoch niemanden. Sämtliche Übertragungsdienste waren offline. Langsam wurde es beängstigend. Nichts funktionierte mehr. Keine ungebetenen Pop-Ups tauchten auf, keinerlei Statusmeldungen der Stream-Nachrichtendienste flackerten mehr über meine Netzhaut. Mediale Stille auf allen Kanälen.
    „Interne Reorganisation läuft“, vermeldete Sydney. Ihre Augen zuckten aufgeregt hin und her, ihr künstliches Gehirn arbeitete anscheinend auf Hochtouren. Ich wünschte, mein Nano-Boss könnte sich auch reorganisieren, aber BAS machte keine Anstalten, irgendetwas zu reorganisieren. Nicht einmal, als ich ihm eine Selbstdiagnose befahl. Ihm schien alles so zu gefallen, wie es war. Nur, dass meine Erinnerungen immer noch große Lücken aufwiesen. Und nicht nur Informationen, die mein menschliches Gehirn abgelegt hatte, fehlten. Der Speicher meines Nano-Bosses war inzwischen nur noch zu acht Prozent belegt, so viel verriet mir meine körpereigene KI dann doch noch. Ich wusste aber, dass er bis vor kurzem noch zu dreißig Prozent belegt war. Dreißig Prozent, das bedeutete, dass riesige Speicherblöcke fehlten. Unmengen an Daten und Informationen, die ich aus meinem menschlichen Gehirn in den Nano-Boss ausgelagert hatte, um sie auf keinen Fall zu vergessen.
    Wieso ich wusste, dass Daten des Bosses fehlten, konnte ich zunächst nicht sagen. Doch dann kam eine Erinnerung zurück. Eine Erinnerung, die mir absolut nicht gefiel.
    „Ich…war wirklich im Gefängnis“, sagte ich leise und schaute Tijuana an. „Ich kann mich wieder erinnern. Mir war eine Kontaktsperre auferlegt worden. Ich durfte keinerlei Nachrichten nach draußen versenden, also blockierten sie mich. Als ich durch diese Tore ging, wurde mein Kommunikationsparameter wieder eingestellt und auf die Stream-Signale abgestimmt.“ Daher wusste ich also, wie viel Speicherkapazität BAS zuvor noch frei hatte. Weil es mir bei dieser Einstellungsprozedur angezeigt worden war. Und diese lag noch nicht allzu lang zurück.
    „Weißt du auch, warum?“, wollte die Latina wissen. Ich schüttelte den Kopf.
    „Nein. Aber vielleicht weiß unsere Agenten-KI bald mehr.“ Ich sah Sydney an, die just in dieser Sekunde mit ihrer Reorganisation fertig wurde.
    „Daten werden wieder hergestellt“, sagte sie kühl. „Bitte warten.“
    „Wie lange wird das noch dauern“, drängte Tijuana ungeduldig. „Ich werde langsam wahnsinnig. Ich habe das Gefühl, mein halbes Leben vergessen zu haben. Ich kann mich zwar an meine Einschulung erinnern, könnte aber nicht sagen, was ich gestern gegessen habe.“ Ich fuhr mit einer Hand durch mein Gesicht und bemerkte, dass es mir ganz ähnlich ging. Die vergangenen sechs Monate lagen nur noch in Bruchstücken vor mir. Die Zeit im Gefängnis oder was zu meinem Aufenthalt dort geführt hatte waren zum Beispiel Dinge, die einfach weg waren. Und doch schwirrten immer noch Erinnerungen an Gerüche oder markante, visuelle Eindrücke durch mein Gehirn, die ich jetzt da ich wusste, dass ich tatsächlich gesessen hatte, auch mit Knast assoziieren konnte.
    Sydney schaute zunächst mich an, dann Tijuana.
    „Schätzungsweise zwei Stunden.“
    „Was?“, japste die Latina. „Zwei Stunden? Ich werde mich noch zwei weitere Stunden an kaum etwas erinnern?“
    „Ja. Und selbst wenn sich mein Memospeicher vollständig reorganisiert hat, ist das noch keine Garantie dafür, dass ich Ihnen alle nötigen Informationen geben kann. Ich kann Ihnen schließlich nicht jede Erinnerung an ihr Leben wiedergeben.“
    „Wenn ich den Scheißkerl erwische, der für diesen Mist hier verantwortlich ist…!“
    „Wir wissen nicht, was genau passiert ist und ob es überhaupt einen Verantwortlichen dafür gibt“, erwiderte Sydney.
    „Es gibt immer einen Verantwortlichen“, schnaubte Ti. „Sei es ein Stream-Wartungstechniker, der das falsche Programm gelöscht hat oder ein Hacker, der die richtige Firewall geknackt hat. Irgendjemand trägt die Schuld daran, da bin ich mir sicher. Also kriegt dafür auch irgendjemand eins auf die Fresse!“
    „Vielleicht war es einfach nur Zufall. Mal daran gedacht, dass
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