Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nesthäkchen 05 - Nesthäkchens Backfischzeit

Nesthäkchen 05 - Nesthäkchens Backfischzeit

Titel: Nesthäkchen 05 - Nesthäkchens Backfischzeit
Autoren: Else Ury
Vom Netzwerk:
Gelegenheit benutzt hatte, heute das Kolleg zu schwänzen, kam freudigst herbei. »Hab' ich dir's nicht gesagt, Annemie, die Dummen haben das meiste Glück? Was hast du nun von all deinem Büffeln? Wenn der Mensch Schwein hat, kommt er auch so durchs Leben.«
    »Darauf würde ich mich nicht verlassen, mein Sohn. Fleißige Pflichterfüllung gibt eine sichere Gewähr«, wandte die Mutter ein. Und auch Puck, der Annemarie wie toll umkreiste, erhob laut kläffend Einspruch.
    »Ist Vater nicht zu Hause und Hans?« Annemarie brannte darauf, ihr Glück zu verkünden.
    Nein, Vater war bereits in der Praxis und Hans im Anwaltsbüro. Aber wozu war denn das Telefon da?
    Vater unterbrach den Patientenrundgang, um seine Lotte ganz schnell an das Herz zu drücken. »Nun bekomme ich bald meine kleine Assistentin ... der erste Schritt dazu ist gemacht. Wird auch Zeit!«
    Großmama und Tante Albertinchen erschienen mit strahlendem Stolz und einer verheißungsvollen Riesenbonbonniere. Sie hatten es geahnt, daß Nesthäkchen das Examen mit Glanz bestehen würde, sie hatten es im voraus gewußt. Vera kam mit vielen Küssen und Bruder Hans sogar galant mit Rosen. Nesthäkchen war heute mal wieder der Mittelpunkt des Arzthauses.
    Bei aller Glückseligkeit aber vergaß es doch nicht die sieben armen Opfer, die noch im Höllenfeuer des Examens schmorten. Pünktlich zur Zwölfuhrpause trat Annemarie wieder in der Schule an, um zu hören, wie es mit den andern stand.
    Gut war es gegangen. Die Mädel waren wie erlöst. Schulrat und Direks waren riesig nett gewesen und die Fragen kinderleicht. »Wenn's nicht schlimmer wird, kommen wir sämtlich durch«, teilte Ilse ihrer Freundin Marlene erleichtert mit, während Marianne ein Stück Torte nach dem andern zur notwendigen Stärkung vertilgte.
    Ja, alle kamen sie durch.
    Am nächsten Abend schaute die mit Girlanden und bunten Lampions feenhaft geschmückte Turnhalle auf zehn glückliche Schülerinnen. Da ließ man sich Hannes italienischen Salat schmecken, schmauste umschichtig Brötchen und Torten in nicht endenwollender Zahl und sang dreist und keck bei der Pfirsichbowle Scherzlieder auf Schule und Lehrer. Und keiner konnte einem deshalb mehr einen Tadel geben, selbst die Eulenaugen durften einem nichts mehr anhaben.
    Schließlich besann sich die ausgelassene Mädchenschar auf das Festspiel. »Die heilige Feme« hieß es. Die Verfasserin, Annemarie Braun, wollte Fräulein Neubert beweisen, was sie bei ihr gelernt hatte. Fünf schwarze vermummte Gestalten, schaurige schwarze Larven vor den lustigen Gesichtern, saßen beim zwölften Mitternachtsschlag zu Gericht über die armen Lehrer.
    Mit düsterer Stimme und strafend erhobenen Händen schrien sie ihr »Schuldig« ... »Wehe! ... wehe! ... wehe!« Keins von den armen Opfern wurde begnadigt. Alles, was in den langen Jahren von den Lehrern gesündigt worden war, wurde unbarmherzig von der heiligen Feme abgetan und verurteilt. Fräulein Neubert wurde sogar wegen unüberwindlicher Abneigung gegen Konditoreien in eine Eule verwandelt ... wehe ... wehe ... wehe!
    Nein, Annemarie Braun trieb es wirklich ein wenig zu bunt. Das fand nicht nur manche würdige Lehrerin. Die meisten Lehrer aber machten gute Miene zum bösen Spiel und lachten mit den Mädeln um die Wette. Ja, Professor Herwig, dem wegen zu schwerer lateinischer Extemporale seine Schnupftabakdose entzogen werden sollte, ruhte nicht, bis die junge Verfasserin zur Strafe aus seiner Dose ein Prischen genommen hatte, und nun statt »Wehe ... wehe ... wehe ... » »Hatschi ... hatschi ... hatschi ...« ertönen ließ.
    Piefke hatte das Klavier aus der Gesangsklasse herunterschaffen müssen und nun wurde getanzt. Die Fidelitas setzte ein. Zwar empfahlen sich jetzt die Lehrer, denn für sie war morgen kein Tag der Freiheit, sondern gewöhnlicher Schultag.
    Aber statt ihrer drangen Brüder und Vettern in das Heiligtum der Mädchenschule ein, stürzten sich auf die übriggebliebenen Brötchen und Torten und wirbelten ihre Tänzerinnen zwischen Leitern, Schwebebalken und Barren umher.
    Mit bunten Fackeln, wie die Glühwürmchen anzuschauen, zogen die Mädel schließlich singend aus den Mauern der Schule hinaus ... hinaus in ein neues Leben. Möge es dir Glück bringen, Nesthäkchen!
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher