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Nesthäkchen 03 - Nesthäkchen im Kinderheim

Nesthäkchen 03 - Nesthäkchen im Kinderheim

Titel: Nesthäkchen 03 - Nesthäkchen im Kinderheim
Autoren: Else Ury
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für viele Wochen von unserm Hause und den Jungen vollständig getrennt. Annemarie bedarf deiner nicht, ich würde ihre Pflege Schwester Elfriede übergeben. Besser als bei ihr kann sie selbst bei der eigenen Mutter nicht aufgehoben sein. Und ich gehe ja selber täglich zweimal in die Klinik und sehe dann nach dem Kind. Mit Gottes Hilfe bringe ich dir unsere Lotte ganz gesund wieder heim.« So überzeugungsvoll klang es aus dem Munde von Doktor Braun, daß seine Frau sich schweren Herzens in das Unvermeidliche fügte.
    Annemarie ahnte nichts von dem, was über ihre nächste Zukunft bestimmt wurde. Sie hörte nicht, daß Vater telefonisch einen Krankenwagen bestellte. Unruhig wälzte sie sich in ihren Kissen umher, stöhnte und wimmerte von Zeit zu Zeit.
    Auch als Vater sie, in Decken und Kissen verpackt, aus ihrem Kinderzimmer trug, um sie in den unten bereitstehenden Krankenwagen zu bringen, schlug sie die Augen nicht auf.
    Mit tränenverschleierten Blicken sah Mutti, wie ihr Nesthäkchen, von dem sie sich kaum jemals getrennt hatte, vorübergetragen wurde. Fräulein Lena, das Gesicht von Tränen benetzt, stützte Frau Braun. Ihr war es nicht viel leichter ums Herz als der Mutter, hatte sie doch Annemarie von klein auf unter ihrer treuen Obhut gehabt. Durch die Türspalte lugten Hans und Klaus mit erregten, ängstlichen Gesichtern.
    Köchin Hanne aber, die schon seit Annemaries Geburt im Hause war, schluchzte zum Gotterbarmen, daß man ihnen ihr Kind fortnahm. Auch Puck, das kleine Hündchen, Annemaries lustiger Gespiele, empfand die Schwere der Stunde. Er lief bis zum ersten Treppenabsatz hinter seinem Herrn her und kroch dann leise winselnd zurück zu Frau Braun, der er tröstend die Hand leckte.
    »Selbst das unvernünftige Vieh weint um unser Kind!« schluchzte Hanne und wischte sich das nasse Gesicht mit dem blauen Schürzenzipfel.
    Gerade als Annemarie in den Wagen mit dem Roten Kreuz gebettet wurde, kam Margot Thielen aus der Schule. Mit entsetzten Augen sah sie den Menschenauflauf, der sich neugierig vor dem Haus zusammengefunden hatte. Brachte man da die Annemarie nicht fort? O Gott - so schlimm stand es also mit ihr?
    Tage vergingen, ohne daß die kleine Patientin das Bewußtsein wiedererlangte. Immer sorgenvoller wurden Doktor Brauns Mienen, wenn er in das Zimmer seiner Klinik schritt, in das er sein Töchterchen gelegt hatte. Kaum vermochte er seiner armen Frau, die voll Bangen auf seine Berichte wartete, Trost und Zuversicht zu spenden. Sollte er mit all seiner ärztlichen Kunst und Sorgfalt, die schon so vielen geholfen hatte, nicht auch seinen Liebling erhalten können?
    Der Zensurentag, vor dem Annemarie heimlich gebangt hatte war inzwischen herangekommen. Margot, die sich täglich nach dem Befinden ihrer kranken Freundin erkundigte, hatte Annemaries Zeugnis mit nach Hause gebracht. Annemarie war die Dritte geworden, aber im Betragen stand »lobenswert«. Nun hätte sie ihre Kindergesellschaft geben können, wenn - ja, wenn nicht eben alles ganz anders gekommen wäre.
    Durch das unverhangene Fenster blinzelte die Aprilsonne in das Krankenzimmer.
    Seit acht Tagen gab sie sich redlich Mühe, um das kleine Mädchen zu erfreuen.
    Doch das achtete dessen nicht. Es machte seine Augen nicht auf.
    Aber heute hatte Annemarie zum ersten Mal ihre Blauaugen geöffnet. Verwundert sah sie sich in der fremden Umgebung um.
    Nanu - was war denn mit ihrer Kinderstube vorgegangen? Die hatte doch früher eine schöne blaue Kornblumentapete gehabt? Und wo waren denn ihr weißes Kindertischchen, ihr Pult, die Puppenecke und das Wandbrett mit all ihren Spielsachen hingekommen? Kahle, weiße Wände, wohin sie auch blickte.
    Annemarie versuchte nachzudenken. Doch der Kopf war ihr so wirr, als ob alle Gedanken darin durcheinandergewirbelt wären. Da tat sie das, was ein Kind immer tut, wenn es keinen Rat weiß, sie rief weinerlich »Mutti«.
    Aber keine Mutti kam. Schwester Elfriede, welche hinausgegangen war, um eine Tasse Milch für die kleine Patientin zu holen, eilte auf das laute Schreien: »Mutti - Fräulein - Mutti!« schnell an Nesthäkchens Bett zurück.
    »Still, Herzchen, weine nicht« - freundlich strich die Schwester über Annemaries Locken.
    Nesthäkchen hielt jäh im Weinen inne. Die großen blauen Augen, die in dem schmal gewordenen Kindergesicht noch größer erschienen, weiteten sich vor Staunen.
    Wer war denn das? Die kannte sie doch gar nicht. Wo hatte sie bloß schon mal jemand gesehen, der solch
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