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Nesthäkchen 03 - Nesthäkchen im Kinderheim

Nesthäkchen 03 - Nesthäkchen im Kinderheim

Titel: Nesthäkchen 03 - Nesthäkchen im Kinderheim
Autoren: Else Ury
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zurückgab. Kein Wort sagte sie dazu.
    Aber dieses stumme Urteil traf die ehrgeizige Annemarie mehr als viele Worte.
    Als die Schulglocke endlich die böse Stunde beendigt hatte, sah man ein kleines Mädchen vorn am Pult stehen.
    Annemarie Braun bat Fräulein Neudorf um Entschuldigung. Ja, das mußte sie.
    Annemarie konnte es nicht ertragen, wenn jemand auf sie böse war. Und heute ganz besonders, wo das Schuldbewußtsein ihr deutlich sagte, daß es sehr ungezogen von ihr gewesen war, ihre Lehrerin nachzuahmen. Daran hatte aber bloß Klaus schuld. Der machte auch immer seinen Lehrer nach, und das Schwesterchen nahm sich nun mal im Guten wie im Bösen ein Beispiel an den größeren Brüdern.
    Ach, Gott sei Dank - Fräulein Neudorf hatte bestimmt nichts gehört. Sie sprach nur von dem unerhörten Radau und von Annemaries Unaufmerksamkeit. Aber als die Kleine Besserung gelobte, war Fräulein Neudorf gar nicht mehr streng, sondern ganz freundlich. Um ein gutes Teil erleichtert, lief Annemarie hinter ihren Freundinnen her in den Hof.
    Die nächste Stunde war Handarbeitsunterricht bei Fräulein Hering. Die Häkeltücher, die man in der Klasse fabrizierte, wurden zum Schluß mit roten Rändchen versehen. Nun waren sie fertig, noch ehe das Schuljahr um war. Aber fein säuberlich waren sie nicht überall ausgefallen. Fräulein Hering, die von Bank zu Bank schritt, mußte oft den Kopf schütteln.
    »Hilde, dein Tuch sieht ja wie ein Scheuerlappen aus - ei, Elli, hast du Kohlen darin eingewickelt, daß deine Arbeit so schwarze Flecke hat? Und hier Ilses sogar mit einem Tintenfleck garniert -da waren gewiß die Hände nicht vor der Stunde gewaschen.« Ilschen Hermann wurde so rot wie die beiden Haarschleifen, die an jeder Seite über ihren Ohren baumelten.
    Zuletzt kam Fräulein Hering zu den beiden Ersten. Blütenweiß lag Margot Thielens Häkelei, in ein sauberes Tuch geschlagen, vor ihr auf dem Tisch. Margot war in allem ein peinlich ordentliches und gewissenhaftes Kind. Das konnte man von ihrer Freundin Annemarie nun gerade nicht sagen. Die ließ ihre Sachen öfters mal herumliegen. Das war auch die Ursache, daß ihre Arbeit in der Mitte ein großes Loch aufwies.
    »Aber Annemarie, was hast du denn mit deinem Häkeltuch angestellt?« Fräulein Hering machte ganz erstaunte Augen.
    »Waren da etwa die Motten drin?«
    »Nee - bloß Puck!«
    »Puck?«
    »Na ja, unser kleines weißes Hündchen. Sie haben ihn mal kennengelernt, Fräulein Hering.«
    »Euer Puck hat doch aber das Tuch nicht zu häkeln, sondern du«, sagte das nette Fräulein scherzhaft.
    »Ich hatte es rumliegen lassen, und da hat er ein Loch reingebissen«, gestand Annemarie errötend.
    Fräulein Hering war ihr also nicht böse - da war es doch nicht ein solch arger Unglückstag heute, wie sie schon gefürchtet hatte.
    Als Fräulein Hering den Kindern nun noch eröffnete, daß jedes in der nächsten Handarbeitsstunde seine Puppe mitbringen dürfe, für die sie ein Kleidchen oder eine Schürze nähen wollten, da es nicht mehr lohne, vor den Ferien eine neue Arbeit zu beginnen, war wieder eitel Sonnenschein bei Annemarie.
    Auf dem Heimweg von der Schule, den sie stets mit Freundin Margot, die in demselben Hause wohnte, zurücklegte, wurde eifrig beraten, welche Puppen mit in die Schule kommen sollten.
    Ich bringe mein Baby mit, das muß neue Windelhöschen kriegen«, überlegte Margot.
    Annemarie war noch nicht ganz im reinen mit sich, welche von ihren sieben Puppen die Glückliche sein sollte. Ihr Liebling war Puppe Gerda. Aber der waren neulich die Schlafaugen in den Kopf hineingerutscht. Wie zwei schwarze Löcher gähnten die Augenhöhlen sie an, Annemarie graulte sich heimlich davor. Und auch die anderen Puppen erfreuten sich nicht einer uneingeschränkten Gesundheit, ja, sie waren sogar ziemlich verwahrlost, denn eigentlich beschäftigte sich Annemarie nur noch sehr wenig mit ihnen. Ihre Märchen-und Geschichtenbücher waren ihr viel wichtiger als die Puppen. Nur wenn Margot, die ein eifriges Puppenmütterchen war, zu Besuch herüberkam, wurden die armen Vernachlässigten aus ihrem Winkel hervorgeholt.
    Die beiden kleinen Freundinnen überschritten, links und rechts nach Wagen und Autos Ausschau haltend, den großen Platz mit der schönen Kirche. Erst seit kurzer Zeit holte Fräulein Lena Annemarie nicht mehr von der Schule ab. Denn die Kleine behauptete, kein »Baby« mehr zu sein und genausogut wie die andern Kinder den Schulweg allein zurücklegen zu können.
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