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Nesser, Hakan

Nesser, Hakan

Titel: Nesser, Hakan
Autoren: Die Perspektive des Gaertners
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nieder. Winnie beugte sich vor und senkte ihre Stimme.
    »Glauben
Sie, dass ich lüge?«
    »Nein«,
antwortete ich. »Ich weiß nicht, warum, aber das glaube ich nicht.«
    »Sie
haben keine Angst, eine Wahnsinnige getroffen zu haben?«
    »Nein.«
    Sie
sah mich an, als wollte sie den Wahrheitsgehalt meiner beiden Antworten ausloten.
Soweit ich weiß, bestand ich den Test.
    »Ich
wollte nur Gewissheit haben«, sagte sie. »Ich möchte versuchen zu verstehen,
wie so etwas möglich sein kann.«
    Ein
Kellner kam und nahm die Bestellung des jungen Paares auf, und wir saßen
wieder eine Weile schweigend da. Dann holte ich tief Luft und versuchte eine
Zusammenfassung.
    »Zwei
Personen«, sagte ich, »ein Mann und eine Frau, die einander nicht kennen,
schreiben ungefähr zum gleichen Zeitpunkt sieben identische Gedichtzeilen. Wort
für Wort identisch. Nein, ich habe keine Erklärung. Und ich bin Ihrer Meinung:
Das ist schon etwas schockierend.«
    »Hängen
Sie einem Glauben an?«, fragte sie.
    »Nein«,
antwortete ich. »Ich betrachte mich nicht als gläubig.«
    »In
keiner Weise?«
    »Was
meinen Sie damit? Ich mag keine Vereinfachungen, das sollten Sie wissen, wenn
Sie mein Buch gelesen haben.«
    »Selbstverständlich«,
erwiderte sie. »Ich wollte nur wissen, ob Sie sich vorstellen können,
irgendeine Art von paranormaler Lösung zu akzeptieren?«
    »Paranormale
Lösung?«, wiederholte ich etwas irritiert. »Was zum Teufel meinen Sie denn
damit?«
    »Nennen
Sie es, wie Sie wollen«, sagte sie nur, »Sie wissen schon, was ich meine.«
    Was
ich natürlich tat.
    »Und
wie ist es mit Ihnen?«, fragte ich zurück. »Welche Lösung akzeptieren Sie?«
    Sie
lachte laut auf. »Nicht besonders viele«, sagte sie. »Aber auf jeden Fall bin
ich nicht so beschränkt, dass ich nur das schlucke, was ich begreifen kann.«
    »So
beschränkt bin ich auch nicht«, versicherte ich ihr. »Aber wenn Sie sich also
eine Art von Erklärung denken können, warum sitzen wir dann hier?«
    Sie
lehnte sich zurück und sah mich mit einem Blick an, der... ja, was deutete er
an? Dass ich nicht ganz ihren Erwartungen entsprach? Dass ich irgendwie ein
Betrüger war und es ihr schuldig war, das eine oder andere zu erklären? Und
wenn ja, was?
    Vielleicht
handelte es sich auch nur um diese natürliche weibliche Überlegenheit, die für
einen Moment aus dem leichten Kräuseln ihrer Lippen schien. Auf jeden Fall
spürte ich, wie zwei widerstreitende Impulse in mir kämpften. Der eine riet
mir, mit der Faust auf den Tisch zu hauen, aufzustehen und das Lokal zu
verlassen. Der andere, ihr Gesicht zu mir zu ziehen und sie zu küssen.
    Wobei
ich mir gar nicht so sicher bin, inwieweit diese Impulse einander wirklich
ausschlossen.
    »Aber
begreifen Sie denn nicht?«, fragte sie schließlich. »Begreifen Sie nicht, dass
ich den Mann, der irgendwo in seinem Inneren mit mir identisch sein muss, zumindest einmal treffen wollte?«
    Danach
zog ich es vor zu schweigen.
     
    Auch
Winnie schwieg. Ich goss den Rest aus der Karaffe in unsere Gläser, wir sahen
einander mit einer Art erschlaffter Kühnheit an und tranken aus. Ich bat den
Kellner um die Rechnung, und nachdem ich bezahlt hatte und Winnie ihr schwarzes
Notizbuch wieder in der Tasche verstaut hatte, legte sie ihre Hand auf meine.
    »Trauen
Sie sich, mit mir nach Hause zu kommen?«
    »Wieso
benutzen Sie so ein Wort?«, fragte ich. »Trauen?«
    »Entschuldigen
Sie«, sagte sie. »Ich habe das Gefühl, dass ich zusehen muss, die Oberhand zu behalten. Hätten Sie etwas dagegen, zu mir
nach Hause zu kommen, das wollte ich sagen. Ich wohne nur fünf Minuten von hier.«
    Es
war ein Gefühl, als stünde ich mit der Hand in einer Trommel voller Lose da.
Zur Hälfte Ja-, zur Hälfte Nein-Lose. Ich rollte den kleinen Papierzylinder auf
und las die Antwort.
    »Ja«,
sagte ich, »ich glaube, ich will, und ich traue mich.«
    Das
ist mir seitdem im Kopf geblieben, dieses Bild einer Lostrommel. Einmal, ein
paar Monate vor Sarahs Geburt, erzählte ich Winnie davon. Sie schlug mir darauf
mit geballter Faust direkt ins Gesicht, meine Nase begann sofort zu bluten, und
ich kann mich erinnern, dass ich, noch während ich im Badezimmer stand und
versuchte, den Blutfluss zu stoppen, dachte, dass es genau das war, was ich
verdient hatte.
    Es
war übrigens das einzige Mal, dass es zu einer Art Handgreiflichkeit zwischen
Winnie und mir gekommen ist.
     
    5
     
    Mir
ist klar, dass sie lebt. Jetzt ist es mir klar geworden.
    Ich
ziehe es vor, das
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