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Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters

Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters

Titel: Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters
Autoren: Ralf Isau
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hatte.
    Es dauerte nicht lange, da wurde der Pfad flacher. Der Gebirgsbach schlängelte sich jetzt durch hohe Wiesen, die im warmen Südwestwind wogten wie die Dünung des Meeresnach einem heftigen Sturm. Überall summten Insekten und in sicherem Abstand zeigte sich eine Herde wilder Bergziegen. Yonathan und Yomi kamen gut voran. Die würzig duftende Luft streichelte sie wie ein warmer, weicher Umhang und ein Gefühl der Hochstimmung verlieh ihnen Flügel.
    Und dann waren sie doch überrascht, als sich ihnen hinter einer Wegbiegung plötzlich der lang ersehnte Ausblick öffnete: Der Golf von Cedan lag ihnen zu Füßen. Seine Fluten glitzerten tief unten wie ein Meer von Diamanten. Ein wahrhaft schöner Herbsttag, der die beiden Wanderer aus dem Verborgenen Land mit diesem atemberaubenden Anblick willkommen hieß!
    Yonathan musste an seinen Pflegevater, Navran, und an das Städtchen Kitvar denken. Und an den Schnee, der zu dieser Zeit, mitten im Monat Bul, längst die Klippen, Wiesen und Wälder mit einer dichten, weißen Decke überzog. »Es ist wunderschön!«, sagte er nach einer Weile seligen Staunens.
    »Wir haben unheimlich Glück mit dem Wetter«, gab Yomi ihm Recht. Seine Stimme klang nüchterner. Er wurde von Kopfschmerzen und einer verstopften Nase geplagt.
    »Ich habe gehört, dass es in den Ländern rund um den Golf so gut wie nie Schnee gibt.«
    »Das stimmt. Dafür ist die See jetzt im Herbst meist ziemlich stürmisch. Die Kapitäne überwintern mit ihren Schiffen in sicheren Häfen und warten den Frühling ab. Kaldek war schon spät dran, als er in Kitvar einlief. Aber er hatte sich in den Kopf gesetzt unbedingt noch Cedanor anzulaufen, bevor die großen Stürme beginnen.«
    »Vielleicht hat er es ja noch irgendwie geschafft Sethur zu entkommen.«
    »Bestimmt. Mein Vater ist ein unheimlich zäher Bursche. So schnell gibt der nicht auf.«
    Ob Yomi so ganz an das glaubte, was er sagte? Als er und Yonathan in schwerer See über Bord gegangen waren, hatte die Verfolgungsjagd zwischen der Weltwind Kaldeks, seines Adoptivvaters, und Sethurs Schiff, der Narga, gerade ein dramatisches Stadium erreicht. Zwar schien die Gefahr vorübergehend gebannt, nachdem der Großmast des schwarzen Schiffes geborsten war, doch der wütende Sturm hatte auch der Weltwind empfindlich zugesetzt. Konnte man für sie und ihre Besatzung wirklich das gleiche Glück erhoffen, das ihn und Yonathan gerettet hatte? War es nicht ein Wunder, dass sie in einer Grotte im Ewigen Wehr gestrandet waren, einen Weg mitten durch das Felsmassiv gefunden und noch dazu einen Eingang in das Verborgene Land entdeckt hatten?
    »Komm, lass uns eine Rast machen«, unterbrach Yonathan die sorgenvollen Gedanken seines Freundes. »Wir müssen zu Kräften kommen, wenn wir bald das Meer erreichen wollen.«
    Nach einer kurzen Erholungspause setzten die beiden ihren Marsch fort. Sie folgten dem Bachlauf und hatten immer die endlose Ausdehnung des Golfs von Cedan vor Augen. Bald erreichten sie ein Gehölz aus Bergkiefern, krummes, niedergebücktes Knieholz nur. Doch je tiefer sie kamen, desto mehr richteten sich die Bäume auf und bildeten nach und nach einen ansehnlichen Wald.
    Als die blutrote Sonne am westlichen Horizont in den Fluten des Golfs versank, wählten Yonathan und Yomi eine kleine Waldlichtung zu ihrem nächtlichen Lagerplatz. Zwischen den kräftigen Stämmen hindurch schimmerte das Wasser. Nur ein leichtes Kräuseln warf feurig rote Funken nach Osten, von wo die Nacht heraufzog. Während sie Beeren kauten, die sie unterwegs aufgelesen hatten, beobachteten die beiden Freunde, wie sich der Himmel zunächst violett, dann tiefblau und schließlich silbern färbte.
    »Heute ist Vollmond«, bemerkte Yonathan.
    »Vielleicht ein gutes Zeichen«, entgegnete Yomi, während er ein Lagerfeuer in Gang brachte.
    »Wie kommst du darauf?«
    »Die Seeleute glauben, dass bei Vollmond die Kräfte des Guten diejenigen des Bösen besiegen. Und wir können ein wenig Glück gebrauchen.«
    »Mond und Glück sind zwei recht launische Helfer.« Yonathan beobachtete eine Weile, wie Gurgi sich an einem Kiefernzapfen zu schaffen machte. Sie kullerte den Zapfen hin und her, knabberte ein wenig daran, ließ ihn liegen, um sich sogleich wieder auf ihn zu stürzen. »Hast du eine Idee, wie wir von hier nach Cedanor kommen sollen?«
    Yomi zuckte die Achseln. »Ich zerbreche mir schon die ganze Zeit den Kopf darüber. Wenn wir nicht wandern wollen, dann wird es wohl nur eine
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