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Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters

Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters

Titel: Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters
Autoren: Ralf Isau
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Hemden oder lederne Wämser. Viele stellten ihre entblößten Oberarme zur Schau, wohl aus Eitelkeit, denn viele Narben bedeckten die nackte Haut – Narben, die nicht etwa vom Kampf herrührten, sondern solche, die absichtlich und in phantasievollen Mustern in die Haut geritzt worden waren. Die meisten trugen breite Ledergürtel; keine Frage, dass sie hierauf besonders stolz waren, wie Sethurs Männer auf ihre kostbaren temánahischen Säbel.
    Als Yonathan und Yomi den Hügel umschritten, der bis dahin den Blick auf das Heck des »Wohnschiffes« versperrthatte, erlebten sie eine neue Überraschung: Der halb im Sand liegende Segler war nur der erste einer ganzen Flotte von festgefahrenen Schiffen. Vor ihnen wölbte sich eine nicht allzu große Bucht landeinwärts, in der beinahe zwanzig Segelschiffe
    – von der einmastigen Nef bis hin zu zwei großen, dreimastigen Hulks – zu ihrer letzten Ruhe gebettet lagen, ein regelrechter Schiffsfriedhof.
    »Da staunt ihr, nicht wahr?«, brüllte der Pirat mit dem dünnen Haarkranz. Er hatte die erstaunten Blicke seiner beiden »Gäste« bemerkt. »Wir haben’s doch richtig gemütlich hier. Und ihr wolltet so einfach vorbeiziehen, ohne uns wenigstens allen Frieden zu wünschen.« Er lachte mit erschreckender Lautstärke und zeigte dabei sein lückenhaftes, gelblich schwarzes Gebiss. Seine Kumpanen stimmten in das grölende Gelächter ein.
    Yonathan und Yomi wechselten einen Blick und setzten ihren Weg in das Innere des ungewöhnlichen Piratendorfes fort. Die Gruppe ihrer Bewacher vermehrte sich auf wundersame Weise. Immer mehr Neugierige – vorwiegend jüngeren Alters – schlossen sich der Eskorte an.
    Erst jetzt bemerkten die beiden Gefangenen, dass sich auch der Bach, dem sie seit dem Verlassen des Tores im Süden gefolgt waren, mitten durch die daliegenden Schiffsleichen schlängelte und dahinter ins Meer mündete. Nicht alle Schiffswracks lagen so gerade und so intakt im Sand, wie das zuerst erspähte. Einige waren umgekippt, von anderen zeugten nur noch die ausgebleichten, gleich abgenagten Rippen aufragenden Spanten.
    Mitten in dem Piratennest gab es so etwas wie einen Dorfplatz, dessen östliche und westliche Begrenzung die zwei großen Hulks bildeten. Der Wortführer der Piraten ließ Yonathan und Yomi in der Obhut seiner Kameraden zurück, während er selbst auf einen der beiden Dreimaster zuhielt. Dort arbeitete er sich eine Strickleiter empor und verschwand hinter der Reling.
    Die beiden Gefangenen sahen sich inzwischen einer interessierten Dorfgemeinschaft von beachtlicher Größe gegenüber. Ganz im Gegensatz zu dem landläufigen Bild des raubenden und mordenden Piraten gab es hier auch Frauen – und nicht wenige! Diese Wächterinnen heimischer Kombüsen waren das genaue Gegenstück zu ihren berufstätigen Gatten: Sie sahen kaum freundlicher oder sauberer aus und waren ebenso zerlumpt. Hier und da lugten kleinere Ausgaben dieses Menschenschlags zwischen mütterlichen Armen und Beinen hervor, offenmäulige Beobachter, denen nichts entging.
    Halbwüchsige legten mehr Sachverstand an den Tag und konzentrierten ihre Aufmerksamkeit vor allem auf den Stab, den Yonathan mit festem Griff umklammert hielt.
    Der Kreis der Schaulustigen zog sich immer enger. Vereinzelte Warnungen ob der so unnatürlich beschaffenen Gesichtsfarbe des größeren »Gastes« blieben ungehört.
    »Ungeheuer raffiniert«, erklärte Yomi beinahe bewundernd.
    »Wovon redest du?«, zischte Yonathan nervös.
    »Dieser Unterschlupf. Von der See aus würde niemand diesen Haufen von Wracks für ein Piratennest halten. Im Gegenteil. Jeder dächte, das Meer sei hier besonders tückisch und würde sich fern halten, um nicht auf irgendwelche Klippen aufzulaufen.«
    Yonathan war verwirrt. Sein großer Freund, der sonst hinter jedem Busch eine Gefahr witterte, dem jede Ungewissheit Anlass zum Unken bot, interessierte sich nun für die strategische Anlage von Piratendörfern. Genügte Yomi denn die eine Erfahrung nicht, die er mit den Räuberbanden der See gemacht hatte? Yonathan versuchte, sich von der aufkommenden Panik nichts anmerken zu lassen, als er zwischen den Zähnen hervorpresste: »Sag mir lieber, was ich tun soll, wenn einer von denen da versucht mir den Stab wegzunehmen.«
    Yomi schaute auf Yonathan herunter. »Ich schätze, wir können gar nichts tun.« Er hob die Schultern. »Außerdem wird es bestimmt nicht mehr als einer versuchen – wenn er sich in Asche verwandelt hat, meine ich.«
    »Du
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