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Neonazis in Nadelstreifen

Neonazis in Nadelstreifen

Titel: Neonazis in Nadelstreifen
Autoren: Andreas Andrea und Speit Roepke
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politische Heimat finden können. Auch Angehörige der als kriminelle Vereinigungen eingestuften Kameradschaften Westerwald und Sturm 34 stehen der Partei nahe.
    Entsprechend dem militanten Selbstverständnis vieler rechter Führungskader werden die unterschiedlichsten Methoden gegen Kritiker und Andersdenkende angewandt. Dabei wird Gewalt nicht mehr nur mit dem Baseballschläger ausgeübt, sondern zunehmend auch das Internet genutzt, um Macht zu demonstrieren und andere einzuschüchtern. Einer, der dies zu spüren bekam, ist der Greifswalder Student Benjamin S. Der angehende Theologe erstattete gegen mehrere Betreiber von Internetseiten mit rechtsextremistischem Inhalt Strafanzeige. Seither hat sich sein Leben verändert. S. lebt gefährlich, er ist ins Visier gewaltbereiter Neonazis geraten. Ständig erreichen ihn Drohungen per Post, E-Mail oder Telefon. Fingierte Bestellungen in Versandhauskatalogen unter seinem Namen und das Verschicken von Viren an seine E-Mail-Adresse gehören noch zu den harmlosesten Schikanen. Ein Rechtsextremist, der sich hinter dem Pseudonym »wartender Krieger« verbirgt, forderte: »Ein Glas Säure ins Gesicht.« Einschüchterungen und Drohungen gehören für Benjamin S. fast zum Alltag. »Dabei habe ich nichts weiter als meine Pflicht getan«, sagt er. Doch er lässt sich nicht einschüchtern. Ein anonymer Schreiber namens »Runenraunen« empfahl für den couragierten jungen Mann aus Greifswald eine »Opferberatung«, wie sie auch im sächsischen Mügeln »angerückt ist«. Mügeln ist einer der ostdeutschen Orte, die 2007 wegen rechter Gewalttaten bundesweit in die Schlagzeilen gerieten.
    Mügeln mit seinen 5000 Einwohnern ist auf den ersten Blick eine ganz normale Kleinstadt in Westsachsen, etwa 50 Kilometer von der Messestadt Leipzig entfernt. Aber deutsche Volksfeste können für manche Menschen immer gefährlicher werden. Das zeigte sich auch im August 2007 , als auf dem Marktplatz das 12 . Altstadtfest gefeiert wurde. An alles war gedacht worden: für die Kleinen eine Hüpfburg, für die Großen ein Festzelt. Am Abend sollte dann zu den Klängen fetziger Musik der 50 er und 60 er Jahre »die Post abgehen«. Eine Gruppe von acht Indern wollte mitfeiern. Kurz nach Mitternacht rempelte einer von ihnen einen Deutschen auf der Tanzfläche an. Das, was danach passierte, glich nach Angaben der Ermittler »einer regelrechten Gewaltorgie«.
    Etwa 50 Jugendliche versammelten sich vor dem Festzelt, dann begannen sie, die Inder durch die Gassen des Ortes zu hetzen. Einige Mügelner prügelten dabei auf die Gejagten ein, riefen ausländerfeindliche Parolen. Andere schrien: »Hier regiert der nationale Widerstand.« Die braune Hatz endete in der Pizzeria »Picobello«, in der die Inder bei einem Landsmann Zuflucht gesucht hatten. Plötzlich splitterte Glas, Steine flogen gegen die Fensterfront des Lokals, Türen wurden eingetreten und das Auto des Ladenbesitzers demoliert. Nach einer Stunde beendeten 70 aus der Umgebung herangezogene Polizisten den Gewaltexzess, an dessen Ende 14 Personen, darunter alle acht Inder, verletzt waren. Mügelns FDP -Bürgermeister Gotthard Deuse war anschließend um nichts mehr als den Ruf seiner Stadt besorgt. Vor den Medien spielte er den braunen Mob herunter: »Hier gibt es keine Rechtsextremen.« Dabei ließ er auch die Tatsache außer acht, dass bei der Landtagswahl 2004 immerhin 9 , 7 Prozent der Wahlberechtigten in Mügeln ihr Kreuz bei der neonazistischen NPD gemacht hatten. Außerdem hat in dem Ort, in dem es angeblich keine Rechtsextremisten geben soll, der extrem rechte Musikversand No Colours Records seinen Firmensitz. Aber der gute Ruf war dem Bürgermeister scheinbar wichtiger, als dass Ursachen und Wahrheit ans Tageslicht kommen sollten.
    Für den Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, war die NPD für die Mügelner Hetzjagd »mitverantwortlich, weil sie eine rassistische Propaganda betreibt«. Auch SPD -Chef Kurt Beck sah die NPD als Ursache für die Gewalttat an. Er forderte ein neues Verbotsverfahren gegen die Partei. Die hingegen versuchte sogar noch aus den Krawallen politisches Kapital zu schlagen und nutzte die Ereignisse in Mügeln für ihre Propaganda. So hielt der Chef der sächsischen NPD -Landtagsfraktion, Holger Apfel, die »Medienhysterie im Fall Mügeln« für »unangebracht« und verkehrte das Geschehen ins Gegenteil. Für Apfel waren die Vorfälle eine Hetzjagd auf die Mügelner Bürger – also acht Inder
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