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Nemti

Nemti

Titel: Nemti
Autoren: Manfred Wloch
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setzte sich auf den, der der Tür am nächsten stand. Die Sitzschale aus verleimtem Holz knarrte und geriet ins Wippen. Ein Blick zur Decke zeigte ihm zwei Leuchtröhren. Sonnenlicht flutete durch ein Doppelfenster auf der rechten Seite herein. Mit den dunkelbraunen Molton-Vorhängen konnte das Fenster lichtdicht verhängt werden.
    Die Wiedersehensfreude hatte ihn mutig gemacht, nun kam die Ernüchterung. Sollte er sich das tatsächlich antun?
    Nach und nach trafen die anderen Gäste ein und suchten sich einen Platz. Als Letzter betrat ein älterer Mann den Vorführraum. Er drückte seine Zigarette in einer mit Sand gefüllten Schale neben der Tür aus. Angefacht durch einen kaum merklichen Luftzug, wehte der Geruch von kaltem Rauch in den Raum. Einige Stühle blieben unbesetzt.
    Lukas drehte sich zur Tür, sah Jan eintreten und den Lichtschalter umlegen. Die Deckenleuchten flammten auf. Die Tür fiel mit einem dumpfen Geräusch ins Schloss. Augenblicklich legte sich der Geschmack von Pappe auf Lukas’ Zunge, ein untrügliches Zeichen, dass er sich unwohl fühlte.
    »Alles klar?« Jan war neben ihm stehen geblieben und klopfte ihm auf die Schulter.
    Er lächelte. »Na sicher. Warum fragst du?«
    »Du siehst bedrückt aus.«
    »Blödsinn«, erwiderte Lukas barsch. Er ließ außer einer gewissen Unruhe in der Stimme keine Nervosität erkennen.
    »Dann viel Spaß.«
    Jan trat vor bis zu einem Pult, das neben der Perlleinwand aufgestellt war, und legte eine Mappe ab. An der vorderen Stuhlreihe vorbei ging er zum Fenster und zog die Vorhänge zu.
    Lukas beobachtete ihn. Sein Magen krampfte. Teufel, er befand sich in einem Raum, zwei Meter fünfundzwanzig hoch, mit den Ausmaßen eines größeren Wohnzimmers.
    Ein leises Summen verriet, dass Jan den Diaprojektor eingeschaltet hatte. Auf der Leinwand zeichnete sich ein unscharfes Bild ab.
    »Würdest du bitte das Licht ausschalten, Lukas?«
    Ausgerechnet ihm musste er dieses Ansinnen stellen. Er brauchte lange, die Hand dem Lichtschalter entgegenzustrecken, noch einmal so lange, ihn zu betätigen. Die Neonröhren erloschen. Die Dunkelheit schloss sich wie ein schwarzer Vorhang, nur durchdrungen vom Strahlenbündel des Projektors. Staubteilchen tanzten wie winzige Insekten im Licht.
    Lukas’ Geist öffnete sich seinen Ängsten. Beklemmender Druck machte sich in seinem Brustkorb breit. Er zitterte am ganzen Körper und spürte Übelkeit aufsteigen. Sein Herz raste. Ihn beschlich die Angst, keine Luft mehr zu bekommen. Gedanken schossen ihm durch den Kopf. Was ist, wenn die anderen merkten, was mit ihm los war? Sie würden ihn angaffen und denken, dass er ein Schwächling oder Spinner wäre. Seine größte Angst, die Kontrolle über sich zu verlieren, verstärkte sich augenblicklich.
    Du kannst einfach rausgehen, hörte er seine innere Stimme sagen. Du kannst aufstehen und gehen. Es ist nichts dabei. Sollte er nachgeben? Nein, verflucht, bleib da. Gib dem Gefühl nicht nach, kämpfe dagegen an. Konzentriere dich auf den Vortrag und die Dias. Denke vor allem nicht daran, was passieren könnte. Aus Angst entsteht noch mehr Angst. Verdammt noch mal, reiß dich zusammen.
    Aus der Dunkelheit ertönte Jans Stimme, der mit seinem Vortrag begann.
    Akustisch vernahm Lukas seine Worte, aber er verstand sie nicht. Es war ihm unmöglich, sich zu konzentrieren. Er atmete schneller. Schweißperlen liefen ihm über die Wange. Fahrig rieb er die feuchten Hände gegeneinander. Verflixt, er musste lernen, der Angst das Feld nicht kampflos zu überlassen.
     
    Lukas schreckte auf, als er Applaus vernahm und ein diffuses Licht aufblitzte. Jemand ging mit einer Taschenlampe vorbei. Im nächsten Augenblick summten die Neonröhren und flackerten auf. Jan hatte sie eingeschaltet. Das Bild auf der Leinwand verblasste. Ein Zuhörer schob die Vorhänge beiseite und Sonnenlicht fiel in den Raum.
    Erleichtert atmete er auf. Wie lange Jans Vortrag gedauert hatte, konnte er nicht beurteilen. Er hatte jegliches Zeitgefühl verloren und einen inneren Kampf ausgefochten.
    Rascheln drang an sein Ohr. Kurze Zeit später sog er das Aroma eines Kräuterbonbons in seine Nase, dann den Duft einer Apfelsine. War das Einbildung oder aß tatsächlich jemand Obst?
    Hastig erhob er sich und stieß die Tür auf. Ein Schwall kühler Luft wehte ihm entgegen. Schnell verließ er den Vorführraum. Endlich konnte er befreit atmen.
    »Ist mein Vortrag verständlich rübergekommen?« Jan war ihm in den Korridor
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