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Nemesis 04 - In dunkelster Nacht

Nemesis 04 - In dunkelster Nacht

Titel: Nemesis 04 - In dunkelster Nacht
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verlief und wie er endete! Mein Blick wanderte Hilfe suchend den Flur hinab. Nach wie vor fiel es mir schwer, die Augen offen zu halten, und ich konnte nur verschwommen sehen, aber schräg gegenüber erkannte ich eine offen stehende Tür, die zu einem weiteren Internatszimmer führte. Täuschte ich mich, oder vernahm ich über das Rauschen und Hämmern in meinen Ohren hinweg tatsächlich Stimmen aus diesem Raum?
    Dann bemerkte ich, wie sich zu meiner Rechten etwas bewegte, am der Treppe entgegengesetzten Ende des Flures. Irritiert und erschrocken versuchte ich, die Konturen der dunklen Kleckse, die ich im ersten Augenblick nur ausmachen konnte, zu bestimmen. Kinder!
    Ein halbes Dutzend Kinder, in ordentliche Zweierreihen aufgeteilt, näherten sich mir im Marschschritt. Vor jeder Tür, die sie erreichten, scherten zwei von ihnen aus dem Trupp aus, um in dem dahinter liegenden Raum zu verschwinden. An meinen Sinnen deutlich zweifelnd löste ich eine meiner Hände vom Türrahmen, an den ich mich noch immer festklammerte, rieb mir die Augen und blinzelte angestrengt in Richtung der Kinder, fest davon überzeugt, sie beim zweiten Hinsehen nicht mehr zu erblicken, aber sie waren noch immer da, und nun konnte ich sie noch deutlicher erkennen. Es waren blonde Kinder, Jungen mit kurz geschorenem Haar und Mädchen, die lange Zöpfe trugen, allesamt waren sie bekleidet mit Schuluniformen und blitzblank polierten schwarzen Lackschuhen. Ich identifizierte sie ohne Zweifel als die Kinder auf dem Pfadfinderfoto, aber das war es nicht allein, was sie mir auf seltsame Weise vertraut erscheinen ließ ...
    Ich hatte keine Zeit, darüber nachzugrübeln. Ich musste fort von hier, ich musste Judith und die anderen finden, und zwar so schnell wie möglich, ehe meine Kräfte mich verließen und ich erneut zusammenbrach, womit ich dem Mörder hilflos ausgeliefert wäre. Zudem stellte ich in diesem Augenblick fest, dass mit meinen Augen irgendetwas nicht in Ordnung war. Es war, als hätte jemand zwei Filme übereinander gelegt: Ganz deutlich konnte ich mittlerweile einen hellen Flur mit seinen frisch gestrichenen Wänden erkennen, an denen neben jeder Zimmertür kleine Namensschilder und Zimmernummern angebracht waren, gleichzeitig aber sah ich auch den heruntergekommenen Korridor mit den morschen Türen und dem von der Decke blätternden, fleckigen Putz, so wie ich ihn kannte.
    Es ist nur ein Traum, redete ich mir erneut mit verzweifelter Anstrengung ein. Ich kann ihn steuern und ich kann ihn kontrollieren, und ich habe die Kraft, über den Flur zu gehen, dorthin, von woher die Stimmen kamen, in den Raum schräg gegenüber, in den wahrscheinlich auch die drei anderen geflüchtet waren. Wie ein Schwimmer vom Startblock stieß ich mich vom Türrahmen ab, durchmaß taumelnd den plötzlich unendlich langen und breiten Gang, stützte mich an der Wand ab und erreichte schließlich vor Anstrengung keuchend und schwitzend den rettenden Rahmen der schräg gegenüberliegenden Tür, wo ich mich mit den Fingernägeln erneut in nachgiebiges, feuchtes Holz bohren konnte.
    Es war die Tür, an der der Pfadfinderwimpel hing.
    Frank Gorresberg stand in kindlicher Handschrift mit überdeutlichen, regelrecht gemalt wirkenden Buchstaben auf dem Namensschild geschrieben. Mein Name!!
    Meine zitternden Finger tasteten nach dem Papierschildchen, das in einen Messingrahmen eingeschoben war, und zogen es heraus. Das war keine Illusion! Deutlich konnte ich das raue Papier zwischen meinen Fingerkuppen fühlen, das Bleichmittel, mit dem man es aufgehellt hatte, sogar noch ein bisschen riechen – das alles war Wirklichkeit! Ein zweiter Name war unter dem meinen aufgeführt: Markus Kufer ... Dieser Name sagte mir nichts. Ich blickte in den Raum hinter der Tür und registrierte ein ordentlich aufgeräumtes Internatszimmer.
    Die Laken auf den schlichten Betten waren straff gezogen, und die einfachen Kissen und Wolldecken akribisch zusammengelegt, wie beim Militär. Irgendetwas in mir begann aufzubegehren. Dieser verfluchte kleine Alien in meinem Kopf!
    Wie sowohl in Ellens und in Marias Zimmer als auch in dem, wo ich mich ursprünglich zur Ruhe gelegt hatte, gab es auch hier gegenüber dem Eingang zwei kleine Giebelfenster. Eines davon wurde jetzt nahezu vollständig von Carls bulliger Statur ausgefüllt, der davor stand und wie gebannt auf den Burghof hinausblickte, während Ellen und Judith sich das andere Fenster teilten.
    »Judith ...«, presste ich leise
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