Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nemesis 03 - Alptraumzeit

Nemesis 03 - Alptraumzeit

Titel: Nemesis 03 - Alptraumzeit
Autoren:
Vom Netzwerk:
hatte. »Wir dürfen jetzt nicht die Nerven verlieren«, sagte ich. »Lass uns die Dinge objektiv betrachten, okay?«
    »Da warst du nicht der Einzige«, warf Carl ruhig ein.
    Er hatte bislang völlig unbeteiligt und regungslos an der Wand gelehnt, als sei er mit dem Inventar verschmolzen.
    »Judith und ich haben uns im Hof getrennt. Ich hatte irgendwann keine Lust mehr, ihr dabei zuzusehen, wie sie auf der Suche nach einem mysteriösen Schaltsystem an jedem einzelnen Stein des alten Turms gerüttelt hat, und habe derweil versucht, die Lücke zwischen Torgang und Wagen zu erweitern, damit wir uns hindurchquetschen können.« Er hob seufzend die Schultern.
    »Vergeblich.
    Die Karre verschließt die Ausfahrt dicht wie ein Kronkorken.«
    »Jedenfalls haben wir einander etwa zwanzig Minuten lang nicht gesehen«, bestätigte Judith nachdenklich. Sie versuchte den misstrauischen Seitenblick auf Carl zu unterdrücken, schaffte es aber nicht ganz. Ellen entspannte sich nur unwesentlich, aber wenigstens legte sich langsam das irre Funkeln in ihren Augen.
    »Maria war auch nicht die ganze Zeit über bei mir.«
    Ellen schnaubte. Mein innerliches Aufatmen hielt daher nur kurz an. Ich hatte ausschließlich darauf abgezielt, den Verdacht vorübergehend auf mich zu lenken, um sie aus der Ecke, in die sie sich getrieben fühlte, herauszumanövrieren, nicht aber darauf, dass wir einander gegenseitig verdächtigten und die Stimmung auf diese Weise wieder derart aufgeheizt wurde, dass wir uns am Ende vielleicht die Zähne einschlugen. Nun aber schien es genau darauf hinauszulaufen. »Wir haben uns kurz getrennt, um verschiedene Räume zu durchsuchen. Als ich fertig war, war Maria weg«, erklärte Ellen und bedachte Maria, die ihren Schrecken über Ellens Bemerkung einigermaßen überwunden hatte und an Judiths Seite getreten war, mit einem bitterbösen Blick.
    »Aber ich –«, fuhr Maria auf, brach aber mitten im Satz ab und senkte nervös den Blick.
    »Aber was?« Ed legte lauernd den Kopf schräg.
    »Vielleicht gibt es ja wirklich einen zweiten Ausgang, der durch den Keller führt. Vielleicht ist Stefan von dort gekommen. Er wollte uns holen, aber unser graues Mäuschen hat die Gunst des Augenblicks genutzt, einen lästigen Miterben loszuwerden. War es so?«
    »Das ist doch völlig absurd!«, Maria schüttelte heftig den Kopf.
    »Findest du?« Ellen, die sich gerade erst wieder halbwegs in der Gewalt gehabt hatte, tat einen drohenden Schritt in unsere Richtung, wobei sie mit der Spitze des Tranchiermessers in Marias Richtung deutete. Offenbar war sie drauf und dran, sich gleich in den nächsten Wahn zu steigern. »Ich finde diese Version ziemlich plausibel, Schätzchen. Schließlich warst du lange genug weg, mindestens eine Viertelstunde. Zeit genug, um den Dolch zu holen und Stefan niederzustechen.«
    »Das glaube ich nicht.« Obwohl ich wusste, dass Judith die zierliche, neunmalkluge Besserwisserin in den biederen, aschgrauen Klamotten mindestens ebenso wenig mochte wie ich, versuchte sie ihr ein wenig Rückendeckung zu geben – eher, um die Situation zu entschärfen als weil sie tatsächlich von ihrer Unschuld überzeugt war, wie ihre skeptische Mimik und distanzierte Körperhaltung verriet. »Es gibt bestimmt eine andere Erklärung, oder?« Sie wandte sich Maria zu und blickte sie fragend an. »Wo bist du gewesen?«
    »Ich … « Maria stand das Unbehagen so deutlich wie mit Neonlettern ins Gesicht geschrieben. Sie zögerte einen Augenblick und blickte verlegen auf ihre Fußspitzen hinab. »Oben«, stieß sie schließlich hervor. »Auf der Toilette.«
    »O la la«, machte Ed spöttisch. »Zehn Minuten für ein kleines Mädchen? Das Fassungsvermögen deiner Blase ist wirklich beeindruckend.«
    »Während das deiner Birne wohl eher zu wünschen übrig lässt«, ergänzte Judith spöttisch.
    »Das war ganz allein Ellens subjektives Zeitempfinden«, konterte Maria brüskiert und überspielte damit die Scham über ihren öffentlich ausdiskutierten Toilettenbesuch. Mit einer trotzigen Geste warf sie den Kopf in den Nacken. Sie tat mir ein bisschen Leid. »Allein in einem dunklen Keller, erfüllt von mehr oder weniger begründeten Ängsten, verliert man das Zeitgefühl schon mal«, sagte sie. »Da können aus Minuten Stunden werden.«
    »Andererseits finde ich es auch ein bisschen auffällig, dass nur Männer ums Leben kommen. Es wäre durchaus denkbar, dass eine Frau –«, grübelte Judith laut nach, brach aber ab und machte eine
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher