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Nebenan: Roman

Nebenan: Roman

Titel: Nebenan: Roman
Autoren: Bernhard Hennen
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war völlig leer.
    »Bist du von allen guten Geistern verlassen?«, fluchte Neriella, ohne dass die Menschen sie hätten hören können.
    »Also …«, entgegnete Wallerich eingeschüchtert.
    »Herr Professor …« Einer von Grünwalds Assistenten hatte sich erhoben und zeigte auf den Heinzelmann.
    »Was ist denn das?«, kreischte eine Studentin mit schweren, blonden Walkürenzöpfen in der vordersten Bankreihe.
    »Was?«, fragte der Professor verdutzt, der den Heinzelmann, der im toten Winkel vor seinem Pult stand, noch immer nicht gesehen hatte.
    »Scheiße!«, fluchte Wallerich und zog sich den Ring vom Finger. Das alles lief ganz anders, als er es sich vorgestellt hatte!
    Neriella tippte sich mit dem Zeigefinger gegen die Stirn und wandte ihre Aufmerksamkeit dann wieder ganz diesem kraushaarigen Studenten zu.
    Grünwald drehte sich um und schüttelte den Kopf. »Also, wie Max Lüthi darlegte …« Sein Versuch, gegen den Lärm im Vorlesungssaal anzureden, scheiterte kläglich. Die Hälfte der Studenten hatte sich erhoben und diskutierte lebhaft miteinander, während die übrigen noch wie gebannt auf ihren Stühlen hockten und auf die Stelle starrten, an der Wallerich gerade wieder unsichtbar geworden war.
    »Das war doch nur ein Hologramm«, rief ein pausbackiger Kerl mit hochrotem Kopf, während sich einige besonders Neugierige aufmachten, um den Platz neben dem Pult näher zu untersuchen.
    »Ruhe bitte!« Niemand hörte auf den Professor.
    Wallerich war inzwischen unmittelbar vor das Pult getreten. Er musste sich zusammenreißen! Es war unvermeidlich, dass die Ältesten von diesem Vorfall erfahren würden, und eine Chance wie diese würde es so schnell nicht wieder geben! Verächtlich sah er zu Neriellas Studenten in seiner abgewetzten Lederjacke. Was sie nur an dem Kerl fand? Nervös drehte der Heinzelmann eine Spitze seines frisch gestutzten Schnauzbarts zwischen den Fingern und sah an sich hinab. Er trug polierte braune Stiefel, eine weite graue Wollhose, ein dazu passendes graues Jackett und sein bestes Hawaiihemd. Er musste es noch einmal versuchen! Entschlossen zog er seine rote Schiebermütze ein wenig tiefer in die Stirn und streifte erneut den Ring über seinen Finger.
    »Neriella, deine Augen strahlen wie Glühwürmchen in einer Mittsommernacht und der zarte Duft deines Haares macht trunkener als frisch gebrannter Ahornschnaps!« Aus den Augenwinkeln sah Wallerich, wie Birgel versuchte sich durch das allgemeine Durcheinander bis zum Pult vorzuarbeiten. Und Neriella … Auf ihren Wangen zeigte sich ein leichtes Rot, das hervorragend zu ihrem blassgrünen Teint passte. Ermutigt fuhr der Heinzelmann fort, während er sich unter der Hand eines Studenten wegduckte, der wohl überprüfen wollte, ob ein Hologramm vor dem Katheder sprach.
    »Sogar meinen Bart würde ich scheren, wüsste ich, der Lohn dafür sei ein zarter Kuss auf meine Wangen.« Entschlossen machte der Heinzelmann sich auf den Weg zur Dryade und sprang auf die vorderste Tischreihe im Vorlesungssaal. »Mit Freuden würde ich den Rest meiner Tage im Stamm einer modrigen Esche verbringen, dürfte ich zur Nacht mein Lager mit dir teilen.« Wallerich griff nach den Walkürenzöpfen der Studentin in der vordersten Reihe und schwang sich zur nächsten Bankreihe hinauf. »Gegen Holzwürmer und Spechte würde ich unser morsches Eigenheim verteidigen. Mit bloßen Fäusten würde ich einen der orangen Ritter des Unigartenbauamts niederstrecken und dir seine Motorsäge als Morgengabe bringen, um im harzigen Duft deiner Schenkel zu versinken und …«
    Eine schallende Ohrfeige beendete Wallerichs Rede. Einen Herzschlag lang versuchte der Heinzelmann mit rudernden Armen auf der Tischkante sein Gleichgewicht wiederzugewinnen, bis ihn eine zweite Ohrfeige der Dryade nach hinten stürzen ließ. Kopfüber landete er auf dem Schoß einer koreanischen Austauschstudentin, die ihn ansah, als sei sie gerade von einem Drachen zum Frühstück eingeladen worden.
    Wallerich spürte, wie er grob beim Handgelenk gepackt wurde. Birgel schwang sich neben ihm auf den Schoß der Koreanerin. »Das war genug!« Mit einem Ruck zog er seinem Freund den Ring vom Finger.
    Wallerich schob verdrossen seine Schiebermütze in den Nacken und sah zu Neriella hinauf. »Was habe ich nur falsch gemacht?«
    » Morsches Eigenheim …«, murmelte Birgel schmunzelnd. »Mir scheint, Dryaden sind sehr eigen, was ihre Bäume angeht. Lass uns lieber verschwinden, bevor sie auf die Idee kommt, zu
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