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Nebenan: Roman

Nebenan: Roman

Titel: Nebenan: Roman
Autoren: Bernhard Hennen
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Normalerweise war der hünenhafte Gitarrenspieler eher still und so brachte sein plötzlicher Ausbruch für einen Moment alle zum Schweigen. Sie kannten einander zu gut, um jetzt noch weiterzustreiten. Till dachte daran, wie alles begonnen hatte. Seit sechs Jahren lebten sie zusammen. Martins Vater hatte ihnen eine alte Jugendstilvilla nahe der Uni überlassen, die sie noch immer gemeinsam bewohnten, obwohl die meisten von ihnen das Studium längst aufgegeben hatten, um andere Wege zu gehen.
    In jenem Jahr, in dem sie gemeinsam anfingen zu studieren, hatten sie die Ui Talchiu gegründet, eine Truppe, die sie manchmal auch hochtrabend Celtic reinactment group nannten. Sie alle hatten sich schon am Gymnasium gekannt und in zahllosen Rollenspielnächten die phantastischsten Abenteuer im Geiste erlebt. Als sie zur Uni kamen, sollte alles noch größer und besser werden. Sie hatten begonnen sich Kostüme zu nähen, Schwerter gekauft und waren an den Wochenenden in entlegene Eifeltäler gefahren, um sich im Schwertkampf zu üben, nach verschollenen Kultplätzen zu suchen und wie die alten Kelten im Einklang mit der Natur zu leben.
    Bald waren sie dabei auf Gleichgesinnte gestoßen und hatten an Heerlagern teilgenommen, zu denen Mittelaltergruppen aus halb Europa kamen. Sie waren als moderne Gladiatoren in den Schwertkampfarenen etlicher Mittelaltermärkte aufgetreten, hatten an nachgestellten Schlachten teilgenommen und an geheimen Treffen, wo Druiden vermeintlich keltische Rituale zelebrierten. Ihre Gruppe war gewachsen und zählte jetzt über dreißig Köpfe, doch sie waren immer der harte Kern gewesen: jene, die alles ausprobierten, die selbst im Winter im Zelt übernachteten und vor keiner Herausforderung zurückschreckten.
    In letzter Zeit jedoch zeichnete sich mehr und mehr ab, dass sich ihre Wege bald trennen würden. Keiner sprach darüber, doch alle wussten es. Gabriela hatte ein Angebot, bei einem Musical in Hamburg zu tanzen, Rolf hatte einen Rollenspielladen eröffnet und war kaum noch zu Hause, Martin hatte eine Celtic-Rock-Band gegründet und interessierte sich mehr für Proben und Auftritte, Almat, der jetzt am Feuer fehlte, würde für ein halbes Jahr auf eine archäologische Expedition nach Syrien gehen und Till stand kurz davor, als Einziger von ihnen sein Studium zu vollenden – falls ihm Mukke keinen Strich durch die Rechnung machte.
    Ihr kleines Haus an der Amalienstraße war still geworden und Martin hatte als Erster von ihnen die Befürchtung ausgesprochen, dass sie vielleicht begannen erwachsen zu werden. Als sicheres Indiz führte er an, dass schon seit einem halben Jahr keine Polizeistreife mehr bei ihnen vorbeigeschaut hatte, um irgendeiner Beschwerde von Nachbarn nachzugehen. Und was für Anzeigen sie früher bekommen hatten! In der WG-Küche hing eine Liste der Beschwerden, denen die Polizei nachgespürt hatte. Die Vergehen reichten von Lärmbelästigung durch Schwertkampfübungen bis zu der Behauptung, sie hätten einen heidnischen Kultplatz im Garten eingerichtet und würden in Vollmondnächten den Teufel anbeten.
    Nach der ersten Anzeige hatten sie ihr Haus Villa Alesia getauft, denn sie fühlten sich von bürgerlicher Spießigkeit belagert, so wie das keltische Alesia einst von römischen Legionen eingeschlossen war. Sie hatten erfolgreich allen Konventionen getrotzt, hatten all das getan, wovor Eltern mit Schaudern in der Stimme warnten, und nun, da sie sich unbesiegbar wähnten, begann ihre Gruppe von innen heraus zu zerbrechen.
    Martins Finger glitten über die Saiten der Gitarre. Er spielte Davids Song von Vladimir Costa. Das Lied war lange so etwas wie ihre Hymne gewesen, doch jetzt vertiefte die traurige Melodie nur das Schweigen am Feuer. Till beobachtete aus den Augenwinkeln seine Freunde, die jeder für sich ihren Gedanken nachhingen.
    Bambam schnitzte mit seinem Dolch an einem Holzscheit herum. Sie beide kannten sich, seit sie vierzehn waren. Zum ersten Mal waren sie sich in einer Rollenspielrunde begegnet. Einen Elfen und einen Söldner hatten sie gespielt und zunächst hatten sie sich nicht riechen können, bis sie von Orks gefangen worden waren, um irgendeinem Gott geopfert zu werden, dessen Namen in erster Linie aus Konsonanten bestand. So etwas verbindet! Danach waren sie ein unzertrennliches Gespann geworden, und als sie das Tischrollenspiel aufgaben und Ui Talchiu gründeten, ließen sie ihre Phantasien wahr werden. Kaum ein Tag verstrich ohne gemeinsame
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