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Nebelgrab (German Edition)

Nebelgrab (German Edition)

Titel: Nebelgrab (German Edition)
Autoren: Barbara Klein
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zu geben. Während der Kaffee brühte, rief er den Professor an. Er vereinbarte einen Termin mit dem alten Mann, der beinahe ein wenig erleichtert klang, und beschloss, bei der Gelegenheit seiner Tante Martha im Süchtelner Altenheim einen Besuch abzustatten.
    Er nahm das Papier ein weiteres Mal zur Hand und stutzte. Etwas wirkte merkwürdig … es hing mit dem letzten Satz zur Erläuterung des Inhalts zusammen. Dort, wo der Riss die Schrift entzweit hatte. »… was lange vermutet, nun endlich ausgesprochen wird …«, stand dort. Aber was wurde seit Langem vermutet? Und dann stand da noch: »Was lange verschollen war und viele Gerüchte …«
    Adrian grübelte und vergaß seinen Kaffee. Worum konnte es sich bloß handeln? Sollte er mit der Klärung der Frage bis zum nächsten Freitag warten, bis er zu Wiedener ging?
    »Kommen Sie um 19 Uhr, junger Mann, dann ist der Abend hinterher noch jung genug, dass Sie ausgehen können. Sie werden sich amüsieren wollen«, hatte der Professor ihm gesagt.
    Wollte er nicht, aber das ging den alten Mann wohl nichts an. Hoffentlich schrieb der nicht so plakativ und klischeehaft, wie er sprach. Adrian schickte Karla eine E-Mail und informierte über den Termin, damit sie nicht auf die Idee kam, ständig nachzufragen. Er griff erneut zum Telefon und rief seine Eltern an, um sich die Nummer seiner Tante geben zu lassen.

Marie Lorenz
    »Frau Lorenz, die Interessenten sind jetzt da; ich habe sie ins Besucherzimmer geführt.« Regina Meester steckte ihren toupierten Rotkopf durch die Tür.
    »Danke, Frau Meester, aber bitte klopfen Sie beim nächsten Mal an, ja?« Die Heimleiterin, die an ihrem Schreibtisch saß, quittierte die Unhöflichkeit ihrer Verwaltungschefin mit einem Lächeln.
    Marie arbeitete seit 15 Monaten als Leiterin des Altenheimes Irmgardishaus und war mit ihren 42 Jahren deutlich jünger als Regina Meester, die bereits seit über zwei Jahren in dem Haus arbeitete und sich zuweilen wie eine Chefin aufführte. Frau Meesters Abneigung gegen die neue Leiterin fand ihren Ausdruck in den alltäglichen Notwendigkeiten des Miteinanders. Es waren nur Kleinigkeiten, scheinbar unbeabsichtigt, aber in ihrer Menge nicht mehr übersehbar. Mit Auswirkungen, die sich noch nicht einschätzen ließen.
    Wie auf einer imaginären Karteikarte notierte Marie alle Respektlosigkeiten, listete sie auf nach Wichtigkeit und persönlicher Betroffenheit, und über allen gedanklichen Notizen schwebte ein großes Fragezeichen. Marie schätzte den Wert einer Frau Meester für das Haus, die alle Vorgänge kannte, Formulare blind aus den Aktenordnern und Dateien mit wenigen Klicks aus dem Computer ziehen konnte und Telefonnummern gleich einem Chip speicherte. Doch wenn sie über diesen Nutzen hinaus dachte, wusste sie, dass eine Klärung der Hierarchie unumgänglich war. Hin und wieder vernahm sie bereits ein Tuscheln hinter halb geöffneten Bürotüren, das schlagartig verstummte, wenn sie sich näherte. Ihre Verwaltungsangestellte war dabei, Macht zu entwickeln. Das gefiel Marie nicht.
    Seit Kurzem hatte sie begonnen, die Führungen durchs Haus für Interessenten selbst zu gestalten. Regina Meester hatte diese Übernahme einer ihrer bisherigen Aufgaben mit einem säuerlichen »Na, wenn Sie meinen« kommentiert, hatte sich umgedreht und Marie stehen gelassen.
    Stumm hatte Marie den roten Haaren hinterhergesehen, Sekunden, in denen sie mit nicht ausgesprochenen Erwiderungen rang. Schließlich atmete sie empört aus. Was nutzte die rational nüchterne Betrachtung des Hauses als Wirtschaftsunternehmen, wenn die Menschen, die am Ende des Monats für die Zahlen verantwortlich waren, nicht miteinander auskamen? Zahlen, die nackt und hilflos auf irgendwelchen Kopien oder in Dateien standen, sagten nichts über die Qualität der Kommunikation aus. Marie wurde immer wieder vor Augen geführt, dass sie an mehreren Fronten kämpfen musste.
    Da das Haus an der Bergstraße eine mit Süchteln verknüpfte Geschichte hatte, schauten die Bürger mit besonders aufmerksamen Augen auf die Entwicklung des Heimes. Es sollte schließlich dem Nutzen der Stadt dienen. Marie wurde erst nach und nach bewusst, wie sehr man im Ort auf die Bergstraße schielte und hinter vorgehaltener Hand alles besprach, was mit dem Haus zusammenhing. Dabei entstanden nicht selten Gerüchte. Es war nicht immer leicht, unverdrossen an die Arbeit zu gehen. Als Neuling und dazu noch als relativ junge Frau, unverheiratet und von auswärts kommend,
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