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Naturgeschichte(n)

Naturgeschichte(n)

Titel: Naturgeschichte(n)
Autoren: Josef H Reichholf
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die Elche, Weißwedelhirsche und auch anderes größeres Getier wie Bären umsichtig aus der Stadt hinauskomplimentieren.
    Unsere Wildschweine lernen schneller und passen sich dem städtischen Straßenverkehr erstaunlich gut an. Das braucht hier nicht wiederholt zu werden (siehe 241). In Skandinavien warnen Verkehrsschilder vor Elchen und dem » Elchtest«, dem nicht alle Autos gewachsen sind. Womit wir ziemlich gut vom brisanten Thema abgekommen sind. Aber nicht wirklich. Diese Vorbemerkungen waren nötig, um den Rahmen für den Wald-Wild-Streit etwas weiter zu spannen.
    Was wir an Grundkenntnissen noch benötigen, vermittelt ein Blick auf die Verdauung der Tiere, die zum Schalenwild gerechnet werden. (Der Rest fällt dann in den Bereich von Bürgerrecht und freier Meinungsäußerung.) Rehe und Hirsche sind Wiederkäuer. Darin gleichen sie den Kühen. Das Besondere am Wiederkäuen ist nicht das Kauen, es steckt im Magen. Genauer: in den Mägen, denn Wiederkäuer scheinen mehrere davon zu haben. Tatsächlich sind es Magenkammern und ein stark vergrößerter unterer Teil der Speiseröhre, die zum Pansen geworden ist. Darin leben Mikroben, die aus inhaltlich wenig ergiebiger Ausgangsnahrung, dürrem Gras und Baumrinde, eine ganz hochwertige machen.
    Wir könnten den Vorgang mit der Entstehung von Joghurt vergleichen. Die Gärung darin ist zwar sehr viel anrüchiger, dafür aber noch wirkungsvoller. Anrüchig, weil wir einige der Gärungsgase riechen können und nicht sonderlich gut finden. Noch anrüchiger ist aber das, was wir nicht riechen, das Methan. Es wirkt als Treibhausgas mehr als zwanzigmal stärker als das Kohlendioxid und gehört damit zu den drei Hauptverursachern der globalen Klima-Erwärmung. Was zudem fest-flüssig entsteht, ist so gehaltvoll, dass die weiblichen Tiere der Wiederkäuer daraus sogar viel mehr Milch machen können, als sie für ihr Kälbchen brauchen.
    Die männlichen, die Stiere, Böcke und Hirsche, schöpfen ihre faszinierende Kampfkraft daraus, die findige Tierhalter schon in grauer Vorzeit der Landwirtschaft zum Ziehen von Wagen und anderem Ackergerät umfunktioniert haben. Voraussetzung war die Kastration, denn danach wissen die in Neutren verwandelten Bullen nichts Vernünftiges mehr mit ihren überschüssigen Kräften anzufangen. Was die Hirsche tun, ist wohlbekannt, wird aber nur ausnahmsweise gesehen. Sie kämpfen bei der Brunft recht heftig miteinander. Davon mehr im nächsten Kapitel. Für die hier zu lösende Aufgabe haben wir vorerst genug beisammen. Wir können uns hineinbegeben ins Kreuzfeuer. Das Wildschwein als Schalenwild stellen wir zurück bis zur abschließenden Anmerkung.
    Erster Beitrag: Wiederkäuer brauchen recht große Mengen Pflanzenkost und viel Ruhe, um diese ein zweites Mal durchzukauen. Erst danach verdauen sie den Mikrobenbrei. In der Ausgangsnahrung, insbesondere in den dürr gewordenen Gräsern im Winter, mangelt es an Pflanzenstoffen, die Stickstoff enthalten. Die Mikroben liefern die stickstoffhaltigen Bausteine von Eiweiß, die Aminosäuren, aus ihrer eigenen Lebenstätigkeit. Sie bessern damit dürftiges Futter stark auf, vergleichbar mit Nudeln, die durch eine Fleischbrühe angereichert werden.
    Wiederkäuer betätigen sich somit über ihr Innenleben ganz ähnlich wie die frei im Boden lebenden Mikroben, wenn sie die toten Pflanzenstoffe zerlegen, abbauen und in fruchtbaren Humus umwandeln. Sie sind deswegen von Natur aus mitbeteiligt an der Humusbildung unter Grasland, also in Steppen und Savannen. Dort leben Wiederkäuer auch in großen Mengen. Sie könnten (und sollten das auch!) als Vorbild für eine ertragreiche, nachhaltige Weidewirtschaft betrachtet werden. Weidewirtschaft auf der Weide, also im Grasland. Wälder sind kein (natürliches) Grasland. Forste noch weniger, weil sie Holz produzieren sollen. Am besten aus eigenem Nachwuchs heraus, denn die Bäume fruchten alle paar Jahre in großem Umfang, sodass auch ohne Pflanzung Jungwuchs nachkommt. So dieser nicht vom zu hohen Wildbestand abgeweidet ( » verbissen«) wird. Damit stecken wir im Kern des Wald-Wild-Problems. Das Wild verbeißt den Jungwuchs, weil es am Waldboden viel zu wenig Gräser und Kräuter findet. Es schält die Rinde von den Bäumen, weil es entweder ganz einfach Hunger hat oder für die Tätigkeit des Pansens sogenanntes rohfaserreiches Futter benötigt. Auch wir tun gut daran, unser Essen in genügendem Umfang mit Rohfasern zu bereichern, weil das die Darmtätigkeit anregt
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