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Nathaniels Seele

Titel: Nathaniels Seele
Autoren: Britta Strauß
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hörte und billigte, was er tat.
    Keine Sekunde zu früh lag die Waffe in seiner Hand. Ein in Schwarz gekleideter Mann tauchte am anderen Ende des breiten Flurs auf, schoss ohne zu zögern. Die Kugel streifte Nathaniels Schulter. Triumph spielte auf den Lippen des Angreifers, um einen Atemzug später wie vom Dämon des Frostes berührt zu gefrieren. Die Lanze durchschlug seine Schulter und nagelte ihn an die Wand.
    Binnen eines Atemzugs war Nathaniel bei ihm. Der von Panik erfüllte Geist des Mannes bot ihm keinerlei Widerstand, sodass sein Gedächtnis innerhalb weniger Sekunden bereinigt war. Mit einem Ruck zog er die Lanze aus der Schulter des Bewusstlosen, ließ ihn zu Boden sinken und leitete gerade so viel Energie in die Wunde, dass sie sich notdürftig schloss. Er musste sparsam mit seiner Kraft umgehen.
    Kaum war er hinter einer Phönixpalme in Deckung gegangen, tauchte ein weiterer Mann auf. Blitzschnell hieb er ihm den Lanzenschaft in die Kniekehlen, brachte ihn zu Fall und schlug ihm beim zweiten Streich den Revolver aus den Händen. Als er diesmal in den Geist eindrang, um ihn zu säubern, schlug er um ein Haar über die Stränge. Die Kraft des Totems brannte machtvoller denn je, gierte danach, endgültig befreit zu werden. Diese Energie berauschte ihn, ließ seinen Willen, sie zu kontrollieren, mehr und mehr dahinschmelzen. Als er von dem Mann abließ, war dessen Geist in einem Maße manipuliert worden, dass es vermutlich Wochen dauern würde, bis er die Fähigkeit zum klaren Denken zurückerlangen würde.
    Nathaniel stand auf und lauschte auf die Stille des Hauses. Sie trug ihm den Schlag eines ängstlichen Herzens zu. Hazlewood.
    Angst sickerte köstlich in seine Sinne. Der Anwalt wusste, was geschehen war. Warum blieb er? War es der Irrglaube, auf irgendeine Weise stärker zu sein? Er sog die Witterung seines Opfers voll bitterer Vorfreude in sich auf, labte sich an dem Geschmack der Angst, der bald noch weitaus köstlicher sein würde. Mit dem gemächlichen Schritt eines Raubtiers, das sich seiner Beute sicher ist, ging er den Flur entlang und bog nach rechts ab. Ein weiterer Gang erschien vor ihm, ausgelegt mit bordeauxroten Teppichen und endend bei einer zweiflügeligen Eichenholztür. Nathaniels Finger gruben sich in das weiche Otterfell der Lanze.
    In seinem Leben als Mensch hatte er viele Gegner getötet, so viele, dass er die meisten Gesichter vergessen hatte und, wenn er an die Kämpfe dachte, nur noch wimmelnde Schlachtfelder vor seinem geistigen Auge entstanden. Inzwischen hatte er gelernt, dass das Töten niemals Befriedigung verschaffte. Auch Hazlewoods Leben würde er nicht beenden. Über ihn zu richten, lag in der Hand anderer Mächte, doch es gab andere Alternativen, die ihm Befriedigung verschaffen würden.
    Abrupt riss Nathaniel die Tür auf. Er sah Hazlewood an einem protzigen Mahagonischreibtisch sitzen, hob die Lanze und schleuderte sie von sich. Ihre Spitze streifte die Wange des Anwalts, schlitzte sie auf und bohrte sich in die Wand hinter ihm. Splitternd rieselte das Glas eines zerstörten Leonardo da Vinci Kunstdrucks zu Boden. Die Studie eines menschlichen Skelettes. Sehnen, Muskeln, Blutgefäße. Das ungläubig aufgerissene Auge eines Toten, der vor Jahrhunderten als Inspiration gedient hatte.
    „Verschwinde“, keuchte Hazlewood.
    „Plötzlich willst du mich loswerden?“ Nathaniel verfolgte den Strom des Blutes mit hungrigem Blick. So köstlich schmeckte Panik. Süß und bitter zugleich. „Hast du Angst? Erkennst du etwa gerade, wie schwach du bist?“
    Hazlewood hob seine Waffe und schoss. In die Seite getroffen taumelte Nathaniel zwei Schritte zurück, doch die Macht des Totems war so stark, dass die Wunde zu heilen begann, noch ehe sein Körper das Gleichgewicht zurückgewonnen hatte. Sein Lächeln pflanzte Todesangst in das Herz seines Gegners. Wieder schoss der Anwalt, doch diesmal zitterten seine Hände derart, dass das Projektil weit danebenging und in der Eichentür einschlug. Nathaniel lachte. Er zerschlug das Glas einer Vitrine mit bloßer Hand, nahm die darin aufbewahrte Kriegsaxt heraus und warf sie gegen Hazlewood. Surrend durchschnitt der Tomahawkdie Luft und schlug ihm die Waffe aus der Hand.
    Nathaniel ließ sich Zeit. Er ging auf den schockgefrosteten Anwalt zu, umrundete den Schreibtisch und lächelte.
    „Du bekommst mich nicht.“ Hazlewoods Lippen pressten sich zu einem weißen Strich zusammen. Sein Herz schlug schneller und schneller. Schien sich
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