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Nathaniels Seele

Titel: Nathaniels Seele
Autoren: Britta Strauß
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hilflosen Blick. „Ich tue nur, was mir befohlen wurde.“
    „Aber er stirbt.“ Sie wehrte sich gegen Gregs fest zupackende Hände, doch alles, was sie erreichte, war ein noch festerer Griff. „Sie lassen ihn ja völlig ausbluten. Hören Sie auf! Hören Sie auf damit.“
    „Jo?“ Nathaniels Stimme ließ sie innehalten. Hatte er wirklich gesprochen? So leise, dass sie es fast nicht gehört hatte?
    „Ja“, schluchzte sie. „Ja, ich bin hier.“
    „Warum?“, kam es matt zurück. Sie sah, wie er versuchte, die Augen offen zu halten. Sein Blick suchte nach ihr, schien sie jedoch nicht mehr wahrnehmen zu können. Nach wenigen Momenten gab er auf. Seine Lider fielen zu, sein Kopf sackte zur Seite. Inzwischen hatte die einst bronzefarbene Haut einen kranken, gräulichen Ton angenommen. Er starb. Er starb vor ihren Augen, während Hazlewood mit jeder verstreichenden Sekunde an Kraft gewann.
    Josephine hielt ihre Tränen nicht mehr zurück. Sie weinte, bis ihre Kehle ein einziger Schmerz war und ihre Augen wie Feuer brannten. Wie viel Zeit war vergangen? Sie wusste es nicht. Alles war vollkommen entrückt. Durch den Tränenschleier sah sie, wie Hazlewood die Atemmaske von seinem Gesicht riss und hochfuhr.
    „Bei Gott“, stieß er hervor. „Bei Gott, ich fühle mich … es hat funktioniert. Es hat wirklich funktioniert. Los, ziehen Sie mir das Ding raus. Und lassen Sie’s weiterlaufen, sofern noch was in ihm drin ist.“
    „Aber, Sir …“
    „Tun Sie, was ich Ihnen sage. Er ist sowieso hinüber.“
    Ein Blackout ließ Josephine in Gregs Armen zusammensinken. Die Schwärze wich so schnell, wie sie gekommen war, und als sie zu sich kam, saß sie in einem Sessel. Hazlewood stand vor dem Fenster und kicherte albern, flankiert von Greg und dem grauhaarigen Arzt. Niemand achtete auf sie. Taumelnd stürzte Josephine nach vorn, hin zu Nathaniel. Auf dem Boden vor der Liege hatte sich eine Pfütze aus Blut gesammelt, tropfend aus dem Zugang, der sich in Hazlewoods Arm befunden hatte.
    „Nat? Oh nein, bitte nicht.“
    Sein lebloser Körper war so bleich, dass die letzte Hoffnung in Josephine kapitulierte.
    „Bitte nicht …“ Ihre Ahnung wurde zur Gewissheit, als sie seinen Arm berührte. Die fleischliche Hülle vor ihr war leer. Sie war wie ein verlassener Kokon. Ohne jedes Leben. „Nat, es tut mir leid. Es tut mir so … leid.“
    Mit zitternden Fingern zog sie die Nadel aus seinem Arm und presste den Daumen auf den Einstich. Vergeblich. Es war idiotisch. Aber irgendetwas übernahm die Kontrolle über ihr Denken und Handeln. Wimmernd sank sie über ihm zusammen. Presste ihren Körper an den seinen, als könnte sie ihm von ihrer Wärme abgeben. Von ihrem Leben.
    „So lebendig habe ich mich in meinem gesamten Dasein noch nicht gefühlt.“
    Die Stimme schwebte dicht über ihr. Eine Hand packte ihren Nacken, eine andere ihren Arm. Josephine wurde hochgerissenund an einen feisten, weichen Körper gepresst. Sie spürte die Hitze. Bis zum Bersten voll mit Energie. Erinnerungen auslösend, die schmerzhafter waren als jede körperliche Wunde.
    „Ich werde mich ein bisschen um Miss Campbell kümmern.“
    Hazlewood zerrte sie in Richtung Tür. Sie wollte sich wehren, doch ihr Körper schien nur noch aus Leere zu bestehen. „Dank dieser Frischzellenkur erwachen noch so manch andere Dinge in mir zu neuem Leben. Schafft den Leichnam weg und bringt mir die Knochen.“
    Schafft den Leichnam weg …
    In diesen Worten lag eine Grausamkeit, die Josephine nicht ertrug. Während Hazlewood sie durch einen Gang zerrte und in ein Zimmer stieß, verlor sie jedes Körpergefühl. Die Beine gaben unter ihr nach. Selbst, als Hazlewood sie hochhob und auf ein Bett fallen ließ, fühlte sie … nichts. Nur die Gewissheit, dass es zu Ende war. Alles rückte in seltsame Ferne. Hazlewoods Gesicht, hochrot vor Eifer. Sein Körper, der tonnenschwer auf ihrem zu lasten schien und ihre Rippen knacken ließ. Seine Hände, die fahrig an ihrem Hemd zerrten. Jenes Hemd, das Nathaniel ihr gegeben hatte. Vor einer Ewigkeit.
    Sie spürte den Stoff reißen. Wie ferngesteuert griff Josephine hoch, krallte ihre Fingernägel in Hazlewoods feistes Gesicht und zog sie mit aller Kraft durch sein Fleisch. Lang, wie sie waren, hinterließen sie klaffende Wunden. Der Anwalt schrie auf. Er holte aus, wollte seine Faust in ihr Gesicht rammen – und gefror zur Salzsäule.
    Tu es
, dachte Josephine.
Tu es endlich
.
Bring auch mich um
.
    Doch Hazlewood schlug nicht
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