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Narzissen und Chilipralinen - Roman

Narzissen und Chilipralinen - Roman

Titel: Narzissen und Chilipralinen - Roman
Autoren: Franziska Dalinger
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schwer, an mich heranzukommen, weil meine Geschwister von beiden Seiten förmlich an mir kleben, rechts Silas, links Tabita. Wie besonders anhängliche Leibwächter. Sie weichen nicht von meiner Seite, als könnte ich jederzeit wieder verschwinden. Dabei müsste ich dringend mit Daniel reden. Ich weiß, wie sehr er Michael mochte, und ich will ihn in den Arm nehmen und ihm sagen, wie leid es mir tut. Wie sehr wir alle ihn vermissen werden, unseren tapferen Goliath.
    »Entschuldigt mich mal kurz«, sagt Daniel, als seine Schwester zwischen den Gräbern auftaucht. Sie hinkt stark, und er geht ihr zur Hand.
    »So haben wir alle unsere Blessuren«, sage ich. »Ich bin völlig hilflos, mit links.«
    »Du und hilflos?« Tom zieht die Augenbrauen hoch. »Das glaubst du doch selbst nicht. Ich hab mit Tine gesprochen. Sie hat gesagt, ohne dich wäre sie völlig durchgedreht.«
    »Nein, wäre sie nicht«, widerspreche ich. »Sie ist stark, weißt du. Stärker, als irgendjemand von uns dachte.«
    Ich sehe zu Tine hinüber. Neben ihr steht ein Mädchen, das ihr erstaunlich ähnlich sieht. Sie sprechen miteinander, dann dreht das Mädchen sich um und kommt zu mir herüber.
    Leonie geht selbstsicher, wie ein Model, mit hoch gerecktem Kinn. Hübsch ist sie. Kein Gedanke mehr an ein Schaf. Wenn ich schon einen tierischen Vergleich anbringen müsste, würde ich sie vielleicht als Antilope betiteln.
    »Ich musste mir meine Doppelgängerin doch mal ansehen.« Sie lächelt in die Runde. »So ähnlich sind wir uns gar nicht, finde ich.«
    Tom nickt ihr zu. »Ähnlich genug. Von weitem. Ohne dich hätten wir es nicht geschafft.«
    Ja, und das weiß sie. Das ist die Leonie, die ich ganz kurz gesehen habe, während Mandy gefilmt hat – eine, die auf einmal sichtbar wird, die aus dem Schatten ihrer Selbstzweifel und Unsicherheiten heraustritt.
    Sie grinst mich an. »Na, Frau Holzer? Immer noch für die Agentur unterwegs?«
    »Ich wurde leider entlassen«, antworte ich. »Schade eigentlich. Hat Spaß gemacht, vielversprechende Talente zu entdecken.«
    Sie ist mir nicht mehr böse. Sie strahlt. An diesem Tag, auf diesem Friedhof, sind alle traurig, aber Leonie leuchtet.
    »War echt genial, dich als Lockvogel zu benutzen«, sage ich. »Ich wünschte, die Idee wäre von mir gewesen.«
    »Das war Daniels Idee«, sagt Tom. »Wie so ziemlich alles.«
    Leonie winkt und verabschiedet sich. Meine Mutter ruft, und meine Geschwister laufen zu meinen Eltern hinüber.
    Tom und ich sind allein. Er zögert. »Messie, er weiß es. Das mit dem Kuss. Mandy hat mich gezwungen, es ihm zu sagen. Nun, ich glaube, daran knabbert er noch immer.«
    »Was hat sie denn gesagt?«, will ich wissen. Ich bin leicht geschockt. Ich meine, so richtig schocken kann mich kaum noch was, aber das hier ... »Was?«
    »Dass du mich liebst. Dass du immer bloß mich geliebt hast.« Er seufzt. »Ich weiß, dass das nicht stimmt«, flüstert er. »Du musst gar nichts sagen. Ich spüre es doch. Es war nicht fair, dass ich versucht habe, mich zwischen euch zu drängen.«
    Tom ist so lieb. Ich schaue ihn mir genau an. Den Kontrast zwischen seinen Augen und seinen Haaren habe ich schon immer gemocht. Er ist attraktiv, so richtig zum Anbeißen. Ich komme super mit ihm klar. Was zwischen uns ist, ist einzigartig, und wir beide wissen das. Wenn ich ihn so lieben könnte, wie ich Daniel liebe – wir wären das perfekte Paar.
    Aber ich habe von Daniel geträumt, in diesen Albtraumnächten im Bunker. Immer nur von Daniel. Obwohl es mit Daniel kompliziert ist und wir uns streiten und eigentlich gar nichts zu passen scheint. Aber da ist dieses Lied, das er mir geschenkt hat, dieser Song über die Dunkelheit. Es ist das hellste Lied, das ich kenne. Ohne Daniels Worte hätte ich die Zeit im Bunker nicht überstanden.
    »Tom ...«
    »Es war im Krankenhaus«, sagt er leise. »Als mein Vater im Sterben lag. Da hab ich mich in dich verliebt. Da ist mir klar geworden, dass ich dir alles sagen kann, dass du mir immer zuhören wirst. Dass du anders bist als alle anderen Mädchen, die ich kenne.«
    »Sag das nicht«, flüstere ich.
    Er war immer mein Traum. Aber das war, bevor Daniel hergekommen ist. Daniel mit seiner selbstgemachten Schokolade und den Pralinen. Daniel mit seiner Musik, seiner Eidechse, seiner Angst, aus sich herauszugehen. Daniel, der nur dann, wenn er Gitarre spielt und singt, seine Gefühle findet, und sie sonst von sich fernhält, als könnte er sich daran verletzen. Daniel, der mit
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