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Narrenwinter

Narrenwinter

Titel: Narrenwinter
Autoren: Alfred Komarek
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eigentlich zu gut. Allzu viele Überraschungen waren da wohl nicht mehr zu erwarten. Aber das hatte ja auch etwas ungemein Beruhigendes, und er freute sich wirklich auf sie.
    Käfer schloss das Fenster, holte ein Notizheft aus der Reisetasche, untersagte es sich zu träumen und begann konzentriert zu arbeiten.
    „Ist das Aufräumen des Hirnkastens glücklich beendet?“ Bruno Puntigam hob grüßend sein leeres Glas. „Stell dir das Pech vor, Daniel: Ich wollte mich gerade mit der zweifelhaften Qualität des Rotweins im Hause Schlömmer anfreunden, als die zweite und letzte Flasche leer war. Aber noch zuvor habe ich fast ohne verräterischen Zungenschlag mit Hamburg telefoniert. Dein Vertrag ist so gut wie unterwegs.“
    „Danke, Bruno, auch für den Vertrauensvorschuss. Sag einmal, kannst du mir mehr über Kappus & Schaukal erzählen, ich meine mehr als allgemein bekannt ist?“
    „Kann ich, will ich aber nicht. Schau ins Internet, Daniel.“
    „Wie denn?“ Käfer zeigte auf sein Notizheft. „Das ist mein Notebook.“
    Puntigam gähnte. „Du kannst meines haben, heute Abend. Bis dahin ist die Festplatte geputzt. Ich liege zwar gerne wie ein offenes Buch vor dir, aber in die Karten lass ich mir auch nicht schauen. Außerdem: Was geht dich meine Pornosammlung an? Was ist denn los mit dir? Direkt widerlich, dieser plötzliche Arbeitseifer!“
    „Ich möchte sehr rasch wissen, ob ich mir die Aufgabe zutrauen kann, und gleich auch ein paar Denkansätze auf den Tisch des Hauses legen – als konkrete Entscheidungsgrundlagen.“
    „Du brauchst keine Aufnahmeprüfung abzulegen, Daniel. Wir wollen deinen Kopf und deinen Namen. Du bist ja nicht irgendwer.“
    „Trotzdem.“
    „Dickschädel.“
    Wieder im Zimmer, versuchte Daniel Käfer zu lesen, doch seine Gedanken schrieben verwirrende Zeilen zwischen die Zeilen im Buch. Also schlug er sein Notizheft auf, fand seine Notizen banal und strich sie durch. Dann fiel sein Blick auf die beiden Betten, die diesseits und jenseits der Sitzgarnitur dicht an der Wand standen. Käfer rückte den Tisch und die Sessel zum Fenster hin und schob dann energisch eines der Betten quer durch den Raum zum anderen Bett. Aufatmend legte er sich hin und schloss die Augen. Ein neuer Anfang in der Mitte seines Lebens, wenn es überhaupt die Mitte war …
    Er dachte an seine Studentenzeit in Graz. Als er eines Nachts wieder einmal in seinen unveröffentlichten Manuskripten blätterte, war er zur Überzeugung gelangt, dass er sie der Welt nicht länger vorenthalten konnte. Natürlich durfte sein erster journalistischer, nein, literarischer Auftritt nicht irgendwo stattfinden. Damals galt die von Henning Mertens in Berlin herausgegebene
Pöbelpostille
als linksintellektuelles Lustobjekt ohnegleichen. Daniel Käfer gab also am nächsten Morgen seine Texte, begleitet von einem selbstbewussten Brief, zur Post. Einige Tage später berichtete seine Zimmervermieterin, dass ein Herr Mertens angerufen hätte, ein merkwürdiger Mensch mit einer verbesserungswürdigen Ausdrucksweise. Käfer rief zurück. Nach einigen Versuchen erreichte er den damals bereits berühmten Publizisten, hörte dessen Stimme, die er von Radio-Interviews kannte. „Sie haben mir Texte geschickt. Was soll ich mit dem Zeug?“
    „Ich dachte, na ja, ich …“
    „So, Sie dachten.“ Mertens schwieg unerträglich lange. Dann hörte Käfer ein Lachen. So hatten vermutlich römische Imperatoren gelacht, bevor sie den Daumen nach unten kippten. „Ich stelle Ihnen eine unlösbare Aufgabe, junger Freund. Wenn Sie so gut sind, wie Sie glauben, können Sie dennoch nicht dran scheitern. Der Muttertag kommt immer so plötzlich. Schreiben Sie doch ein hübsches, kleines Feuilleton zum Thema und geben Sie es morgen früh zur Post. Wer nicht auch unter Druck gut ist, ist nie gut.“
    Der junge Daniel Käfer erzählte seiner Zimmervermieterin, dass er den Durchbruch geschafft habe, dann erzählte er es halb Graz. Am späten Abend fand er sich euphorisch und nicht mehr ganz nüchtern in einem schäbigen Café am Griesplatz wieder und geriet an einen Zuhälter, der eigentlich gerne Lyriker geworden wäre. Gemeinsam zogen sie weiter, bis Käfer dann doch unsicheren Schrittes sein Zimmer erreichte. Er kochte Kaffee, setzte sich zur Schreibmaschine, warf den Kopf in den Nacken, schloss kurz die Augen und schrieb dann, von unirdischer Leichtigkeit umweht und von dunkler Klarheit durchdrungen. Am frühen Morgen wurde er von argen Kopfschmerzen
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