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Nanking Road

Nanking Road

Titel: Nanking Road
Autoren: Anne C. Voorhoeve
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sie mit den Tränen. »Ich hab etwas ganz Dummes gemacht, Ziska. Ich hab sie auf den Termin aufmerksam gemacht. Gesagt, dass wir Anfang nächster Woche fahren müssen. Wie konnte ich nur! Wie der Kerl mich angesehen hat! Ob und wann wir Ihren Mann entlassen, bestimmen immer noch wir! Oh Ziska, ich hab’s vermasselt, es ist meine Schuld!«
    Meine Mutter presste die Hand vor den Mund. Ihr Gesicht zuckte. Ich saß wie erstarrt und versuchte zu begreifen, was sie mir sagen wollte: Sie würden Papa nicht rechtzeitig gehen lassen. Unsere Ausreise nach Shanghai war geplatzt. Das Schiff würde ohne uns ablegen.
    Aus LIVERPOOL STREET
    Für Juden aus Deutschland und Österreich war die chinesische Großstadt Shanghai nach der Pogromnacht vom 9. November 1938 der einzige Zufluchtsort, der ihnen ohne Visum, Bürgschaft oder Einwanderungsquote noch offen stand. Angehörige aus zwölf europäischen Ländern durften sich im internationalen Sektor der Stadt frei ansiedeln, seit Verträge die Verwaltung mehrerer Bezirke durch Großbritannien, die USA und Frankreich regelten. Bis 1941 gelang es rund 18000 europäischen Juden, eine der begehrten Schiffspassagen oder ein Ticket für den Transsibirien-Express zu ergattern und sich nach Shanghai zu retten.
    »Nanking Road« erzählt von diesem »Exil der kleinen Leute« und vom Zweiten Weltkrieg, wie er sich fernab von Europa abgespielt hat. Zugleich ist der Roman eine Was-wäre-wenn-Geschichte und basiert auf meinem 2007 erschienenen Jugendbuch »Liverpool Street«. Die Berliner Familie Mangold bereitet darin ihre Auswanderung nach Shanghai vor, doch eine kleine, der Aufregung geschuldete Unvorsichtigkeit macht alle Pläne zunichte. Anstatt auf dem Dampfer nach Shanghai findet sich die zehnjährige Ziska allein auf einem Kindertransport nach England wieder und nur ihre Mutter wird das Mädchen nach sieben langen Jahren wiedersehen.
    Was wäre wohl aus Ziska, ihren Eltern, Verwandten und Freunden geworden, wenn es der Familie gelungen wäre, nach Shanghai auszuwandern? Der Roman »Nanking Road« beruht auf der Annahme, dass ein einziger ungesagter Satz lebenswendende Auswirkungen haben kann.
    Und so dürfen in diesem Buch die Mangolds im Dezember 1938 gemeinsam auf die Reise gehen. Dabei basieren ihre Erlebnisse auf den zahlreichen Berichten ehemaliger Shanghai-Flüchtlinge vor dem Hintergrund der drei Kriege, die sich in der Region damals abspielten: vom japanisch-chinesischen Krieg (1937 bis 1945), der mit dem Ausbruch des Pazifikkrieges (1941 bis 1945) vorübergehend Teil des Zweiten Weltkriegs wurde, bis zum chinesischen Bürgerkrieg zwischen den Kuomintang und den Kommunisten (1927 bis 1949).
    Dieser über Jahrzehnte schwelende innerchinesische Konflikt hatte das Land bereits in den 1930er Jahren stark geschwächt und Japan Gelegenheit gegeben, die Macht in weiten Teilen Chinas an sich zu reißen. 1932, im Jahr der Besetzung der Mandschurei, verwüsteten japanische Bomber auch die chinesische Altstadt Shanghais, 1937 traf es Hongkou, einen Bezirk des internationalen Sektors, der in der Folge ebenfalls von Japan besetzt wurde. Im selben Jahr erregte das Nanking-Massaker, dem 200000 Einwohner zum Opfer fielen, weltweit Entsetzen. Viele jüdische Flüchtlinge dürften angesichts dieser Gräueltaten mit sehr mulmigen Gefühlen in Shanghai angekommen sein. Dort stellten sie zwar fest, dass sie von den Japanern nicht behelligt wurden. Zeugen des Rassenhasses gegen die chinesische Bevölkerung zu werden, der dem ähnelte, dem sie selbst gerade erst entkommen waren, war für viele Exilanten allerdings nur schwer erträglich.
    Nach dem Ende des Pazifikkrieges dauerte es noch Jahre, bis die letzten jüdischen Flüchtlinge Shanghai verlassen konnten. Die meisten wanderten ab 1947 in die USA , nach Kanada, Australien oder Palästina aus, ab 1948 in den neu gegründeten Staat Israel. Ein kleinerer Teil ging zurück nach Deutschland. Etliche Flüchtlinge hatten sich in Shanghai aber auch eine neue Existenz aufgebaut und wären gern geblieben, doch nach der Ausrufung der Volksrepublik China durch Mao Zedong war dies nicht mehr möglich. Anhänger der Kuomintang gründeten auf der Insel Taiwan die Republik China – ein bis heute ungelöster Konflikt, da der Status der Demokratie Taiwan wegen des Widerstands der Volksrepublik China nicht geklärt ist.
    Noch heute erschwert Befangenheit die Beziehung zwischen jüdischen und nichtjüdischen Deutschen. Auch der neunzehnjährigen Ziska bleiben
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