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Nana

Titel: Nana
Autoren: Émile Zola
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schon in die Höhe gegangen, als die Leute truppweise in den Saal strömten zum großen Verdruß jener, die schon Platz genommen hatten. Alles beeilte sich, die Sitze aufzusuchen, und man saß wieder neugierig und aufmerksam da. Der erste Blick La Faloises galt der Gaga. Er war erstaunt, den großen, blonden Herrn bei ihr zu sehen, der sich vorhin in der Loge Lucy Stewarts befunden.
    Wie heißt doch nur dieser Herr?
    Fauchery sah ihn nicht gleich.
    Ach ja! Labordette, sagte er dann mit der nämlichen sorglosen Miene wie vorhin.
    Die Dekoration des zweiten Aktes brachte eine kleine Überraschung. Man sah eine Vorstadtschenke »Zur schwarzen Kugel«, in der das tolle Treiben des Fasching-Dienstags herrschte. Die angeheiterten Gäste sangen einen Chor und schlugen dazu die Fersen zusammen. Diese unerwartete »Hetz« gefiel dermaßen, daß der Chor zur Wiederholung verlangt wurde. Hier wollten die Götter, die durch Iris – welche die Erde zu kennen vorgab – irregeführt wurden, ihre Untersuchung halten. Sie hatten sich vermummt, um nicht erkannt zu werden. Jupiter trat als König Dagobert auf in einer verkehrten Hose, mit einer Krone von Weißblech auf dem Haupte. Phöbus erschien als Postillon von Lonjumeau, Minerva als Amme aus der Normandie. Mit großer Heiterkeit wurde Mars empfangen, der das phantastische Kostüm eines schweizerischen Admirals trug. Doch das Gelächter wurde übermütig, als Neptun erschien, bekleidet mit einer Bluse, eine hohe Mütze auf dem Kopfe, von der kleine Herzchen auf seine Schläfe herabbaumelten; er schlenderte, mit seinen Schuhen klappernd, herein und rief mit seiner behäbigen Stimme: »Ja, wenn man ein schöner Mann ist, muß man sich von den Frauen lieben lassen.« Man hörte einige Hoho! im Saale, während die Frauen sich mit dem Fächer das Gesicht halb verdeckten. Lucy lachte in ihrer Loge so geräuschvoll, daß Caroline Héquet sie mit dem Fächer auf die Schulter tippte, um sie zum Schweigen zu bringen.
    Von da ab war das Stück gerettet und ein großer Erfolg unausbleiblich. Dieser Götterkarneval, der Olymp im Kot, eine Religion, eine Poesie in den Staub gezerrt: Das war ein erlesener Schmaus für dieses Publikum. Ein Fieber der Unehrerbietigkeit überkam diese gebildeten ständigen Besucher der ersten Vorstellungen, man trat die Legende mit Füßen, man zerschlug die Heiligenbilder. Jupiter war ein »guter Kerl«, Mars ein gekräuselter Dandy. Das Königtum war eine Posse, die Armee eine Spielerei. Als Jupiter, plötzlich in eine kleine Wäscherin vernarrt, einen flotten Cancan anhob, schleuderte Simonne, welche die Wäscherin spielte, ihm den Fuß an die Nasenspitze und rief: »Dickes Väterchen!« – was ein wahnsinniges Gelächter im Saale hervorrief. Während man tanzte, zahlte Phöbus der Göttin Minerva einige Schoppen Glühwein; Neptun thronte inmitten einer Gruppe von sieben oder acht Weibern, die ihn mit Kuchen fütterten. Man griff die Zweideutigkeiten auf und fügte noch Zoten hinzu; die harmloseren Scherze wurden durch die Zwischenrufe aus dem Orchester ihres Sinnes entkleidet. Seit langer Zeit hatte in keinem Theater das Publikum sich dem dummen Spaß mit solchem Behagen hingegeben.
    Unter Torheiten dieser Art nahm die Handlung des Stückes ihren Fortgang. Vulkan, als »fescher Jüngling«, ganz gelb gekleidet, mit gelben Handschuhen, das Monokel ins Auge geklemmt, lief immerfort hinter der Venus her, die als Fischerweib erschien, mit einem Tüchlein auf dem Kopfe, Brust und Hals entblößt, mit allerlei Goldschmuck behängt. Nana war so weiß und wohlgeformt, so natürlich in dieser an Hüfte und Mundwerk starken Figur, daß sie sofort den ganzen Saal für sich einnahm. Man vergaß neben ihr vollständig Rosa Mignon, ein reizendes Kindchen in Fallhut und kurzem Musselinkleid, das die Klagen der Diana in rührendem Tone vortrug. Die andere, dieses große, starke Mädchen, das sich auf die Schenkel schlug und gluckste wie eine Henne, verbreitete einen Duft des Lebens, der Allmacht des Weibes um sich her, der das Publikum berauschte. Von diesem zweiten Akt an war ihr alles erlaubt: die schlechte Haltung auf der Bühne, das Falschsingen, die Unkenntnis der Rollen. Sie brauchte sich nur umzuwenden und zu lachen, um Beifall zu ernten. Als sie die famose Hüftenbewegung machte, geriet das Parkettpublikum in Feuer; die Hitze stieg von Rang zu Rang bis zur Decke hinauf. Ihr Auftreten in der Schenke war ein Triumph. Hier war sie in ihrem Element als Venus, die sich
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