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Nächte in Babylon

Nächte in Babylon

Titel: Nächte in Babylon
Autoren: Daniel Depp
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passiert?«
    »Perec ist in Annas Schlafzimmer. Er hat sie in seiner Gewalt.«
    »Scheiße«, sagte Special. »Hab ich’s nicht gewusst? Dieser Irre ist zäh wie ein Terrier.«
    »Die Polizei ist schon unterwegs.«
    »Wenn unser Freund Vincent den Streifenwagen hört, kriegt er die Panik und bringt sie um. Garantiert. Er ist nervös, und er hat eine Scheißangst vor den Bullen.«
    »Wir wollen vorher was anderes ausprobieren.«
    »Und was soll das Schönes sein?«
    »Hauptsache, Sie kommen mir nicht in die Quere.«
    Vignon stand auf und schob sich eine Neun-Millimeter-Automatik hinten in den Hosenbund. Auf Socken ging er zur Wand des Weingutes und drückte sich dicht daran entlang, um von oben nicht gesehen werden zu können. Direkt unter Annas Fenster blieb er stehen. Special war gespannt wie ein Schlüpfergummi, was er wohl vorhatte. Fast zärtlich strich Vignon sekundenlang mit der Hand über die rauen Steine, dann fing er an, die Wand hochzugehen. Special wären fast die Augen aus dem Kopf gefallen. Der verdammte Franzmann kletterte wie eine Spinne die Mauer hoch. Vignon schob sich ein Stück nach oben, hielt an, tastete mit den Finger- und Zehenspitzen das Mauerwerk nach dem nächsten unsichtbaren Haltegriff ab, hakte sich irgendwie ein und nahm das nächste Teilstück in Angriff. So etwas hatte Special im Leben noch nicht gesehen.
    »Hat Ihr Vater noch gelebt, als Sie ihn gefunden haben?«
    »Nein«, antwortete Anna. »Er war schon ein paar Stunden tot.«
    »Meiner hat noch gelebt«, sagte Perec. »Ich war dabei, als er gestorben ist. Alles war voll Blut. Ich habe neben ihm gesessen. Er hat sich nicht bewegt, aber seine Augen waren offen. Wir haben uns nur angesehen. Dann hat er die Augen zugemacht. Es war ein schöner Tod.«
    »Es gibt keinen schönen Tod.«
    »Bloß bei den Japanern. Die haben das Sterben raus«, sagte er.
    Fünf lange Minuten später hatte Vignon das Fenster erreicht. Es war geschlossen. Langsam hob er den Kopf über die Fensterbank. Er konnte bloß hoffen, dass Perec nicht in seine Richtung schaute. Die Sonne ging schon auf, und in dem sanften Morgenlicht sah er sie auf dem Bett sitzen, Perecs Arm auf Annas Schulter, wie ein Liebespaar. Perec drehte ihm den Rücken zu. Wenn das Fenster offen gewesen wäre, hätte Vignon ein freies Schussfeld gehabt. Er stemmte sich gegen den Rahmen, aber der gab nicht nach. Durch das Glas zu schießen, war nicht möglich; die Kugel konnte Gott weiß wohin gehen. Ihm blieb nichts anderes übrig, als die verdammte Scheibe einzuschlagen.
    »Sie wollen mich töten, nicht wahr?«, fragte Anna.
    »Nein«, antwortete Perec. »Wieso sollte ich Sie töten wollen?«
    »Aber worum geht es Ihnen dann? Was wollen Sie, warum haben Sie mich bis nach Cannes verfolgt?«
    »Weil ich Sie liebe«, sagte er. »Wussten Sie das nicht? Sie müssen doch auch sehen, wie ähnlich wir uns sind. Ich habe Sie schon immer geliebt.«
    »Aber wozu dann das hier?«
    »Um Ihnen das Einzige zu geben, was ich Ihnen geben kann«, sagte er leise. »Was Ihr Vater für Sie getan hat und mein Vater für mich. Ich kann Ihnen mein Leben schenken. Mir war immer klar, dass ich sterben muss, und ich möchte für Sie sterben. Das ist mein Geschenk. Dann ist alles gut.«
    Perec ließ Anna los und stand auf.
    »Diese ganzen Geschichten über Jesus, die meine Mutter mir immer erzählt hat. Sie hat nie verstanden, was sie bedeuten. Ich habe es auch erst kapiert, nachdem ich Sie gefunden hatte, als ich das von Ihnen und Ihrem Vater gelesen habe. Es war wie bei mir, haargenau wie bei mir. Das konnte kein Zufall sein. Und da wusste ich auf einmal, worauf es ankommt. Es ist wie bei den Samurai«, sagte er. »Man braucht etwas, wofür es sich zu sterben lohnt.«
    Er blickte auf sie hinunter, lächelte und hielt sich das Rasiermesser an den Hals.
    Vignon schlug mit dem Pistolenlauf die Scheibe ein.
    Leider war es keine besonders gelungene Aktion. Das dicke Glas zerbrach, die Scherben sausten wie ein Fallbeil herunter. Als er blitzschnell die Hand mit der Waffe zurückriss, damit sie ihm nicht abgehackt wurde, zog er sich eine tiefe Fleischwunde zu. Er verlor den Halt. Beim Zersplittern der Scheibe fuhr Perec herum und erhaschte noch einen kurzen Blick auf Vignon, bevor der in die Tiefe stürzte.
    Sobald Spandau das Glas bersten hörte, warf er sich mit der Schulter wie ein Rammbock gegen die Tür. Krachend flog sie auf. Vor der Wut in seinen Augen prallte Perec zurück, sprang auf Anna zu und drückte sie vor
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