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Nächte in Babylon

Nächte in Babylon

Titel: Nächte in Babylon
Autoren: Daniel Depp
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nur eine Handbreit von ihrem Hals entfernt, und wenn sie sich bewegte, wenn sie ihn erschreckte, war es möglich, dass er sie aus einem Reflex heraus tötete. Sie wartete und wartete, schmiegte sich stärker an ihn. Eine Sekunde lang schien er wieder zu sich zu kommen, und das Rasiermesser zuckte, doch dann entspannte sich sein Arm und fiel von ihr ab, aufs Bett. Millimeterweise reckte sie sich nach dem Alarmknopf auf ihrem Nachttisch. Sie konnte ihn schon fast berühren, als die Matratze unter ihr nachgab. Sofort war er hellwach. Er riss sie zurück und schlang ihr den Arm wieder um den Hals. Diesmal streifte die Klinge ihre Wange, ein kaltes Brennen, als er sie an sich zog. Aber sie hatte den Alarmknopf in der Hand und drückte panisch darauf herum.
    »Zwingen Sie mich nicht, Sie zu töten«, sagte er. »Nach dem Tod kommt nichts mehr. Nur ein großes Nichts, nur Leere, wie Schlaf. Wo niemand böse ist und niemand gut. Es gibt nur noch das Nichts. Wo Ihr Vater ist. Und meiner auch. Im Nichts. Sie wollen doch nicht sterben, oder?«
    »Nein«, antwortete Anna. »Ich will nicht sterben.«
    »Sie müssen noch so viel lernen«, sagte er. »Ihre Zeit ist noch nicht gekommen.«
    Schritte im Korridor, bis vor die Tür. Es klopfte. Vignon.
    »Anna? Ist etwas passiert? Der Alarm geht dauernd los. Anna?« Er rüttelte am Knauf. »Anna?« Hämmerte gegen die Tür. »Anna, antworten Sie! Machen Sie auf!«
    »Sagen Sie ihm, er soll weggehen«, flüsterte Perec ihr heiser ins Ohr.
    »Alles in Ordnung«, rief Anna. »Mir geht es gut.«
    »Kommen Sie an die Tür, Anna.«
    »Hauen Sie ab!«, schrie Perec. »Lassen Sie uns in Ruhe. Ich will nur reden, nur reden, sonst nichts …«
    Auf ein Kopfnicken von Vignon rief Yves sofort mit dem Handy die Polizei an. Spandau kam den Korridor herunter. Vignon hielt ihn auf.
    »Perec ist bei ihr. Wir haben die Polizei verständigt. Jetzt kommt alles darauf an, ob er wirklich vorhat, sie zu töten.«
    »Davon müssen wir ausgehen.«
    »Dann wird uns die Zeit knapp. Du redest durch die Tür mit ihm und lenkst ihn ab. Ich probiere es inzwischen von draußen.«
    Vignon und Yves sprinteten zur Treppe.
    »Vincent?«, sagte Spandau. »Hier ist David Spandau. Wir kennen uns schon.«
    »Verschwinden Sie!«
    »Lassen Sie sie gehen, Vincent. Lassen Sie Anna gehen, dann passiert Ihnen nichts.«
    »Ich werde sterben«, sagte Vincent. »Ich muss.«
    »Nein. Wenn Sie die Tür aufmachen und sie gehen lassen, passiert keinem etwas. Die Polizei ist schon unterwegs, Vincent. Wenn Sie warten, bis die Polizei hier ist, machen Sie alles nur noch schlimmer. Noch sind wir unter uns. Sie müssen sie laufen lassen.«
    »Halten Sie die Klappe«, sagte Perec. »Wenn Sie weiterreden, muss ich sie umbringen. Sagen Sie es ihm«, befahl er Anna.
    »David, o Gott, David …«
    »Sie müssen sie gehen lassen, Vincent. Sie haben es doch auf mich abgesehen, Sie können mich haben. Wenn sie rauskommt, komme ich rein. Dann können Sie es zu Ende bringen.«
    »Still! Ich meine es ernst! Ich kann nicht nachdenken!«
    Perec ritzte ihr Ohr mit dem Rasiermesser. Sie schrie.
    »Anna!«
    »Alles gut, alles gut! Sei still David, bitte. Wir sitzen hier ganz friedlich beieinander. Sie werden doch brav sein, Vincent, ja? Sie wollen doch niemandem etwas tun, Sie wollen doch nur reden. Ich rede mit Ihnen, solange Sie wollen.« Heiß rann ihr das Blut am Hals hinunter. Ihre Stimme zitterte so stark, dass sie die Worte kaum hervorbrachte.
    Yves erschien am Ende des Korridors und winkte Spandau zu sich. »Meinen Sie, Sie können die Tür aufbrechen? Die sind nicht sehr stabil.«
    »Sicher.«
    »Vignon wird versuchen, ihn durchs Fenster zu erledigen, sobald er freie Schussbahn hat. So oder so, sobald Sie ihn hören, treten Sie die Tür ein, okay?«
    »Wir sind im zweiten Stock! Bis er eine Leiter rangeschafft hat …«
    »Serge doch nicht. Der braucht keine Leiter. Glauben Sie mir. Sie müssen einfach nur die Tür eintreten, wenn Sie ihn hören, okay?«
    Spandau nickte.
    Perec sagte: »Jetzt haben die mich gezwungen, Sie zu schneiden. Entschuldigung. Tut es weh?«
    »Ein bisschen«, antwortete sie.
    Perec fing an zu weinen.
    »Ist nicht schlimm«, sagte sie. »Bloß ein kleiner Kratzer.«
    »Das wollte ich nicht«, schluchzte Perec. »Das wollte ich wirklich nicht.«
    Vignon hockte auf der Erde und schnürte seine Schuhe auf, als Special aus dem Haus kam.
    »Wieso läuft denn hier alles durcheinander wie ein wildgewordener Hühnerhaufen? Was ist
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