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Nächte in Babylon

Nächte in Babylon

Titel: Nächte in Babylon
Autoren: Daniel Depp
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die Kehle. Ein Zittern lief durch sie hindurch, und sie erstarrte.
    »Ich will Ihnen nichts tun, ich will das Messer nicht benutzen.« Anna nickte. »Wenn Sie schreien, muss ich Sie töten. Was aus mir wird, ist mir egal. Die werden mich sowieso umbringen, aber ich will Ihnen nichts tun. Ich will nur reden. Okay?« Er wartete. Keine Antwort. Er schüttelte sie, hielt ihr das Rasiermesser an die Wange. »Okay?«
    Ja, nickte sie. Er legte ihr den Arm um den Hals, so dass die Klinge direkt unter ihrem Kinn zu liegen kam. Dann nahm er ihr die Hand vom Mund.
    »Sie brauchen das Messer nicht«, sagte sie. »Legen Sie es weg. Ich rede mit Ihnen.«
    »Nein, das geht nicht. Nur wegen dem Messer sind Sie doch noch hier, bei mir. Ich bin ja nicht blöd.«
    »Wie sind Sie ins Haus gekommen?«
    »Ach, ich bin ein Geist. Ich spuke schon länger hier herum. Ich komme überall rein. So leise wie ein Mäuschen.«
    »Lassen Sie mich los. Ich rede mit Ihnen. Ehrenwort.«
    »Nein, seien Sie still, bitte. Ich muss nachdenken. Es geht mir nicht gut.«
    »Sie sind krank. Wir rufen einen Arzt.«
    »Nein. Ich muss mich hinlegen.«
    Er zog sie neben sich aufs Bett, ihren Kopf in seiner Armbeuge, das Rasiermesser direkt neben ihrem Ohr. Er schmiegte sich an sie. Genau wie bei Amalie, dachte er. Ihre Haare rochen fruchtig nach Shampoo. Er berührte ihre nackte Schulter mit den Lippen und konnte nicht anders, als sie küssen. Aber unten rum blieb alles ruhig, und er war froh darüber. Wie furchtbar, wenn es ihm bei ihr passiert wäre. Davor hatte es ihm sehr gegraut. Danke, lieber Skorpion. Perec sah, dass alles Teil eines göttlichen Plans war.
    »Nur in den Arm nehmen«, flüsterte er ihr zu. »So ist es schön. Ich muss Ihnen so viel sagen, so viel erzählen.«
    »Was möchten Sie mir denn erzählen?«
    »Es ist alles in mir drin. Es will jetzt nicht aus mir raus.«
    »Was wollen Sie mir sagen?«
    »Fassen Sie mal meinen Arm an.«
    Als Anna im Dunkeln die Finger an dem Arm mit dem Rasiermesser entlangwandern ließ, konnte sie die vielen wulstigen Narben auf seiner Haut fühlen.
    »Sie haben sich geritzt.«
    »Die sind für Sie. Jedes Mal wenn ich einen schlimmen Gedanken an Sie hatte. Männer sind Schweine. Wir sind alle Schweine, alle schmutzig. Ich wollte nie etwas Böses von Ihnen denken. Ich wollte Sie nur in den Arm nehmen, Sie festhalten.«
    »Jetzt bin ich ja da. Jetzt können Sie es mir erzählen.«
    »Blut wäscht alles rein. Wenn man das Blut kommen lässt, wäscht es den ganzen Dreck weg, den man in sich hat. Haben Sie Ihren Vater geliebt?«
    »Ja. Sehr.«
    »Er hat sich geläutert. Das wollte ich Ihnen sagen. Ja, das war’s. Seien Sie ihm nicht böse.«
    »Was wissen Sie über meinen Vater?«
    »Dass Sie ihn gefunden haben. Ich habe meinen auch gefunden. Das viele, viele Blut. Er hat Sie so geliebt.«
    »Ja, das glaube ich auch.«
    »Ich habe meinen Vater vielleicht auch geliebt. Aber ich weiß es nicht. Nicht genau. Ich kann mich nicht erinnern. Vielleicht hat er mich geliebt. Er muss mich geliebt haben. Deswegen hat er es getan. Er war ein Schwein, er war schmutzig, er hat sich getötet, um rein zu sein. Das tut man für den Menschen, den man liebt. Man versucht, rein zu werden.«
    »Mein Vater hat sich getötet, weil er traurig war. Sie heißen Vincent, nicht wahr? Er hat sich getötet, weil er unglücklich war, Vincent, nicht weil er irgendwie unrein war.«
    »Nein, nein. Er hatte lauter schmutzige Gedanken, und er hat es getan, um für Sie rein zu sein, darum. Wie Jesus, aber ich glaube nicht an Jesus, ich glaube nicht an Gott. Nicht mehr. Sie können auch wieder rein werden. Auch wenn Sie Sachen mit Männern gemacht haben.«
    »Vincent …«
    »Das haben Sie. Ich habe es gelesen. Sie lassen sich von Männern anglotzen, anfassen. Der große Amerikaner, der hier ist. Haben Sie sich von dem auch anfassen lassen?«
    »Nein.«
    »Sie lügen. Ich weiß, dass Sie lügen. Er ist ein Schwein. Er gehört abgestochen. Ich sollte ihm die Kehle durchschneiden und ihn ausbluten lassen wie ein Schwein.«
    »Was wollen Sie von mir, Vincent?«
    »Ich … ich weiß nicht. Ich kann mich nicht erinnern … Mein Bein tut weh …«
    Anna schob sich näher an ihn heran, tiefer in seine Arme.
    »Halten Sie mich fest, Vincent. Gefällt Ihnen das?«
    »Ja …«
    »So ist es schön.«
    »Ich bin so müde.«
    Anna lag da und wartete. Unendlich lange. Perec rührte sich nicht, die Hand mit dem Messer sank langsam auf ihre Brust. Trotzdem war die Klinge
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