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Nackt schlafen ist bio

Nackt schlafen ist bio

Titel: Nackt schlafen ist bio
Autoren: Vanessa Farquharson
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angesichts der grünen Fortschritte anderer Leute, und das ist erbärmlich. Zwar gelingt es mir hin und wieder, mir nicht ständig die Frage zu stellen, ob ich nicht etwa die umweltbewussteste Kundin bin. Aber wenn die Kassiererin – nachdem ich an der Kasse auf die Frage »Papier oder Plastik?« stolz erwidert habe: »Weder noch, ich hab meine eigene Tasche dabei« – mich nicht so begeistert anlächelt, als wollte sie mir einen Orden an die Brust heften, bin ich praktisch am Boden zerstört.
    Das ist ein Problem. Und der Grund, warum Hippies so selbstgefällig werden. Man kann eben leicht auf den Gedanken verfallen, man habe eine größere Belohnung verdient, als nur selbst zu wissen, dass man etwas Gutes getan hat. Selbst wenn man vom Laden in einen Park geht und dort die frische Luft einatmet, ist es zu spät, um einen direkten kausalen Zusammenhang zwischen einem Häufchen gerade gekaufter Öko-Mandeln und einer Gruppe gesunder Bäume herzustellen. Und vielleicht gibt es ja gar keinen solchen Zusammenhang – vielleicht bewirkt der Kauf ökologisch einwandfreier Produkte lediglich, dass die Großkonzerne zwangsläufig ihren Absatz durch »naturnahe« und »biologische« Marken steigern, was den Wettbewerbsdruck auf grüne Produkte verstärkt, die Aussagekraft der Labels verwässert und so den Verbraucher letztlich hinters Licht führt.
    Keine Ahnung, wie lange ich wohl warten muss, bis die Welt dank meiner kleinen ökologischen Schritte nachweislich besser geworden ist. Der Wald wird noch lange nicht gesund, nur weil ich mal mein Auto stehen lasse. Aber ich weiß, dass es einen Mittelweg zwischen draufgängerischem Umweltaktivismus und altbackenem, selbstgefälligem Hippietum gibt, und den muss ich finden.
    Es war eine Wohltat, dass uns im hohen Norden heute endlich der Frühling mit seiner Anwesenheit beehrte. Wenn ich mitansehe, wie meine Umgebung von Tag zu Tag grüner wird, kommt es mir vor, als würden sich meine Änderungen des Lebensstils auszahlen. Vielleicht sieht das Gras im Park gegenüber in diesem Jahr ja gesünder aus, weil ich auf Chemie-Produkte verzichtet habe. Vielleicht wirken die Straßen sauberer, weil ich in letzter Zeit nichts mehr gekauft habe, was in drei Lagen Plastik verpackt war. Oder vielleicht liegt es auch nur daran, dass ich der Natur näher bin, seit ich im Freien und nicht mehr auf dem Laufband jogge.
    Einerseits ist es kaum zu glauben, dass schon ein Monat vergangen ist, andererseits erscheint es mir unvorstellbar, dass ich noch elf weitere vor mir habe. Weder wirke ich ungepflegt, noch rieche ich nach Patschuli, und meine Wohnung sieht noch ziemlich unverändert aus, mit Ausnahme einiger neuer Produkte hier und da. Aber ich habe den Verdacht, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis mir die Ideen ausgehen und ich zu einigen wirklich drastischen Einschnitten gezwungen bin. Schon jetzt gibt es Momente, wo mir davor graut, mir einen weiteren Öko-Schritt ausdenken zu müssen, und ich allein bei dem Wort »grün« zusammenzucke. Letzte Woche musste ich mir im Rahmen meiner Arbeit ein dreizehnstündiges französisches Filmepos von Jacques Rivette antun, was anfangs eine Qual war, aber dann begann ich seine verquere europäische Ästhetik zu schätzen. Als ich danach das Kino verließ und in meine eigene Realität zurückkehrte, mich von philosophischen Gedanken über Molière und den Existenzialismus ab- und der Frage zuwandte, ob ich zu kompostieren anfangen oder auf ein Bio-Shampoo umsteigen sollte, kam mir alles so albern vor. Nur eine privilegierte Nordamerikanerin, die nichts Besseres mit ihrer Zeit anzufangen weiß, würde sich ein ganzes Jahr ihres Lebens den Kopf darüber zerbrechen, ob ihr Deo Aluminium enthält oder wie viel der Emissionsausgleich für einen Flug nach Montreal kostet. Als ich an jenem Abend nach Hause ging, überlegte ich mir, wie ich aus dem Projekt aussteigen könnte – was ich meinem Chef, meiner Familie, meinen Freunden und Lesern sagen sollte, damit ich mich ohne allzu große Gewissensbisse aus der Affäre ziehen konnte. Doch als ich mich dann an meinen Computer setzte und meine Website aufrief, tauchte dort ein statistisches Schaubild auf. Ich starrte auf den kleinen Zähler, der für diesen Tag mehr als eintausend Seitenzugriffe anzeigte. Und ich konnte den Blick nicht davon losreißen.
    Diese Zahl stand für eintausend Augenpaare, von Menschen, die so nah wohnten wie Meghan oder in so fernen Ländern wie Australien. Und diese Augen
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