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Nachts unter der steinernen Bruecke

Nachts unter der steinernen Bruecke

Titel: Nachts unter der steinernen Bruecke
Autoren: Leo Perutz
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Römischen Reiches, Rudolf II., mit einem Schrei aus seinem Traum.
    Des Kaisers Tisch
    An einem Frühsommertag des Jahres 1598 gingen zwei junge böhmische Herren von Adel Arm in Arm durch die Gassen der Prager Altstadt. Der eine war Herr Peter Zaruba von Zdar, Student der Rechte an der Universität Prag, ein unruhiger und unternehmender Geist, der Pläne schmiedete, wie man der utraquistischen Kirche zu ihren Rechten verhelfen, die landesherrliche Gewalt des Kaisers mindern und die der Stände mehren und wie man vielleicht sogar einen König böhmischer Nation und reformierten Glaubensbekenntnisses erlangen könnte. Solchen Gedanken hing der Peter Zaruba nach. Der andere, ein wenig älter an Jahren, hieß Georg Kaplir von Sulavice und saß im Rerauner Kreis auf seinem Gut. Er befaßte sich nicht viel mit Politik und Glaubenssachen, seine Gedanken kreisten um das Schmalz, das Federvieh, die Butter und die Eier, die er dem Obersthofmeisteramt für die kaiserliche Küche geliefert hatte, und um die Juden, denen er die Schuld an den schlechten Zeiten beimaß. Er war nach Prag gekommen, um nach seinem Geld zu sehen, denn das Obersthofmeisteramt war seit vielen Monaten mit der Begleichung der Rechnungen im Rückstand. Er und der Peter Zaruba waren ein Jahr zuvor in Verwandtschaft zueinander getreten, — einer von den Kaplirs hatte eine Zaruba zur Frau genommen.
    Sie waren in der Heiligen-Geist-Kirche gewesen, und der Georg Kaplir hatte sich gewundert, daß sie auf ihrem Weg so vielen Juden begegnet waren. Der Peter Zaruba hatte ihm erklärt, die Juden seien hier bei sich zu Hause, denn diese Kirche sei auf allen vier Seiten von Judengassen und Judenhäusern umgeben. Der Kaplir sagte, das sei eine Schande, daß man nicht zur Andacht in die Kirche gehen könne, ohne auf die breiten Judenbärte zu stoßen, und der Peter Zaruba meinte, die Juden könnten Bärte so breit wie die Zuber tragen, ihm sei's gleich.
    Für einen, der wie der Georg Kaplir seine Tage im Berauner Kreis verbrachte, gab es in der Prager Altstadt vielerlei zu sehen. Der spanische Gesandte fuhr in seinem Galawagen, von Hartschierern und Hellebardieren geleitet, zum erzbischöflichen Palais. Im Wacholdergäßlein sprach ein närrischer Bettler die Vorübergehenden mit den Worten um ein Almosen an, er nehme alles: Dukaten, Dublonen, Rosenobels und Portugalöser, nichts sei ihm zu gering. In der Teinkirche wurde unter großem Gepränge die Taufe eines Mohren, der zur Dienerschaft des Grafen Kinsky gehörte, vollzogen, und der hohe Adel Böhmens drängte sich zu diesem Schauspiel. Die Buchdrucker und die Zeltmacher, die beide an diesem Tage ihr Innungsfest hatten, begegneten einander in der Plattnergasse mit ihren Fahnen und gerieten in Streit, weil keiner der beiden Züge dem anderen den Weg freigeben wollte. Auf dem Johannesplatz hielt ein Kapuzinermönch eine Ansprache an die Moldaufischer, in der er sagte, er sei auch ein Fischer, das Miserere sei seine lange Rute, an der hänge das Paternoster als eine goldene Angel, und das de profundis, der Toten liebste Speise, sei der Köder, und damit zöge er die armen Seelen wie Karpfen oder Weißfische aus dem Fegefeuer. Und vor einer Schenke auf dem Kreuzherrnplatz waren zwei Schlächtermeister aneinander geraten, weil der eine das Pfund Schweinefleisch um einen Heller billiger hergab als der andere.
    Für all dies hatte aber der Georg Kaplir von Sulavice weder Aug' noch Ohr, er sah nur die Juden, denen er auf seinem Weg begegnete. Auf dem Altstädter Ring stand einer im Halseisen am Pranger, weil er sich, wie auf einem an seiner Brust befestigten Zettel zu lesen war, wiederholtermaßen und gröbliche gegen die Marktordnung vergangen hatte. Und der Georg Kaplir ließ es sich nicht nehmen, diesem Juden ins Gesicht zu sagen, was er von ihm dachte. Er sprach ihn dabei mit Moises und mit Eisig an, denn so hießen die beiden Berauner Juden, die er kannte.
    »He, du Moises oder Eisig!« rief er. »Hast du heute deinen Büß- und Wehetag? Wenn heute dein Messias kam' und dich da stehen sah', der hätte wenig Freud' an dir.«
    Da er keine Antwort erhielt und auch keine erwartete, ging er weiter. Auf dem Kleinen Ring holte er den Peter Zaruba ein.
    Hinter der Moldaubrücke, wo die Insel lag, gerieten sie in einen ganzen Trupp von Juden, die unter scharfer Bewachung, daß keiner echapieren könnt', in die Kirche »Maria an der Lake« geführt wurden. Dort sollten sie die Judenpredigt anhören, die ein Jesuitenpater in
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