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Nachts unter der steinernen Bruecke

Nachts unter der steinernen Bruecke

Titel: Nachts unter der steinernen Bruecke
Autoren: Leo Perutz
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Machinationen des Kaiserlichen Rats Philipp Lang, der sich in einem Gerichtsverfahren für die Unterschlagung von Geldern aus Meisls Vermögen verantworten mußte. Das Liebesverhältnis Rudolfs II. zur Frau des Mordechai Meisl war ein — literarisch schon im 19. Jahrhundert mehrfach verarbeiteter — Stoff, den Perutz einer Prager jüdischen Legendensammlung entnehmen konnte, die auch Rabbi Loews wunderbare Rettung der Judenstadt vor der Pest überlieferte. Für mehrere Einzelzüge der Novellen griff Perutz auf die Sippurim zurück, eine Sammlung jüdischer Volkssagen, Mythen und Legenden; sie enthielten z. B. die sagenhafte Erklärung von Mordechai Meisls Beichtum, die Perutz in der Novelle »Der entwendete Taler« ausgestaltete.
    Wie souverän Perutz mit der historischen Überlieferung und literarischen Vorbildern verfuhr, kann exemplarisch
    die Novelle »Das Gespräch der Hunde« verdeutlichen. Die Novelle entnimmt ihren Stoff einem historisch verbürgten Ereignis, das sich um die Jahreswende 1621/22 zutrug. Nachdem ein Wachsoldat in das Haus des Statthalters eingebrochen war, erließ Wallenstein den Befehl, niemand dürfe kaiserliches Gut von einem Soldaten kaufen. Ein Jude, der in Unkenntnis dieses Befehls einen Mantel aus Heeresbeständen erworben hatte, wurde inhaftiert und sollte am nächsten Tag, zusammen mit zwei Hunden, auf dem Schindanger gehängt werden, konnte jedoch gegen eine hohen Geldbetrag von den Ältesten der jüdischen Gemeinde freigekauft werden.
    Über das Gespräch, das die beiden Hunde in der Gefängniszelle miteinander und mit dem inhaftierten Juden führten, schweigt sich die historische Quelle freilich aus. Das Vorbild für die sprachmächtigen Hunde entnahm Perutz der literarischen Tradition. In den Novelas ejemplares des Cervantes findet sich die »Novelle und Zwiegespräch, das sich begab zwischen Cipion und Berganza, Hunden des Hospitals de la Resurreccion«, auf die Perutz' Vorbild E.T.A. Hoffmann zurückgriff, als er die »Nachricht von den neuesten Schicksalen des Hundes Berganza« in den Fantasiestücken in Callots Manier mitteilte. Wenngleich Perutz das Motiv der sprechenden Hunde auch in jüdischen Legenden und in den »Gedanken eines Hundes« finden konnte, die der von ihm verehrte Anatole France der Nachwelt überliefert hatte, so ist doch die Verknüpfung des Gesprächs der Hunde mit der Geschichte Rerl Landfahrers und Mordechai Meisls Perutz' eigene Erfindung. Der Dialog zwischen dem »Bauernköter« und dem Urbanen »Pudelhund«, in dem die Kommunikationsschwierigkeiten über Wälder, Füchse und Gänse sprachphilosophische Dimensionen annehmen, gehört zweifellos zu den Glanzleistungen der ironischen Erzählkunst von Le o Perutz.
    In seinem Roman stützt Perutz sich nicht nur auf eine Vielzahl historischer Quellen, er gibt auch die wichtigsten Stationen der Geschichte Prags und Böhmens in Ubereinstimmung mit der Geschichtsschreibung wieder. Die Pointe in seinen historischen Romanen hegt stets darin, daß er den historischen Ereignissen ihre Stellung und Bedeutung im Geschichtsprozeß beläßt, sie jedoch auf gänzlich andere Weise als die wissenschaftliche Geschichtsschreibung »erklärt«. »Ein Hund, der bellte, und ein Hahn, der krähte, die haben das Glück des Wallenstein begründet. [...] Davon wirst du freilich in deinem Gymnasium nichts gehört haben, denn dort trichtert man euch nur Jahreszahlen ein.« Die Erklärung für den Reichtum Wallensteins, die der Nachhilfelehrer seinem Zögling zum Abschluß der Novelle »Der Stern des Wallenstein« gibt, dürfte in der Tat nicht zum Lehrstoff der Gymnasien gehören. Auch die Gründe für die Niederlage der böhmischen Protestanten und den Verlust der »evangelischen Freiheit«, die der Erzähler in der Novelle »Des Kaisers Tisch« anführt, dürften in keinem Geschichtsbuch zu finden sein. Aber was die »Geschichtsprofessoren am Gymnasium und die Herren, die die Geschichtsbücher für die Schulen verfassen« an Ursachen für die Niederlage der Protestanten in der Schlacht am Weißen Berge anführen, ist—so verkündet der Nachhilfelehrer stud. med. Jakob Meisl selbstbewußt— »alles Unsinn«; die Schlacht ging verloren, weil der Peter Zaruba von Zdar, ohne es zu wissen, »von des Kaisers Tisch« gegessen hatte.
    Der Geschichtsverlauf in Perutz' Boman scheint determiniert von Prophezeiungen, Träumen und Verwünschungen. Am Weg eines Geldstücks in der Novelle »Der entwendete Taler« zeigt Perutz exemplarisch,
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