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Nachts unter der steinernen Bruecke

Nachts unter der steinernen Bruecke

Titel: Nachts unter der steinernen Bruecke
Autoren: Leo Perutz
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und schätze, daß ich aber nicht glaube, es mit Erfolg bei der gegenwärtigen Einstellung der Leser in Deutschland und Osterreich herausbringen zu können«. Auf diese Weise teilte ein emigrierter jüdischer Verleger einem emigrierten jüdischen Schriftsteller mit, sein Roman könne wegen des jüdischen Stoffes im Nachkriegs-Österreich und -Deutschland nicht erscheinen.
    Im Jahre 1953 brachte die Frankfurter Verlagsanstalt den Roman Nachte unter der steinernen Brücke heraus. Von der literarischen Kritik wurde der Roman mit hohem Lob

bedacht — Hilde Spiel, Friedrich Sieburg, Hans Reimann, Friedrich Torberg und andere namhafte Kritiker bezeichneten Perutz' Prag-Roman als erzählerische Meisterleistung, doch der Erfolg bei den Lesern blieb zunächst aus. Spätere Ausgaben bei der Europäischen Verlagsanstalt, im Zsolnay Verlag und verschiedenen Taschenbuchverlagen brachten dem Roman zwar einen gewissen Erfolg bei der Leserschaft, die gebührende Anerkennung als Meisterwerk historischer Erzählkunst aber hat Nachts unter der Steinemen Brücke bis heute nicht gefunden.
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In dieser Nacht erlosch die Pest in den Gassen der Judenstadt.
    In dieser Nacht starb in ihrem Haus auf dem Dreibrunnenplatz die schöne Esther, die Frau des Juden Meisl.
    In dieser Nacht fuhr auf seiner Burg zu Prag der Kaiser des Römischen Reiches, Rudolf II., mit einem Schrei aus seinem Traum.
    Die drei anaphorischen Schlußsätze der Eingangsnovelle »Die Pestin der Judenstadt« stellen zunächst ein komplexes Rätsel dar. Welche Beziehung die schöne Jüdin Esther mit dem Kaiser des Römischen Reichs, Rudolf II., verbindet, schildert erst die siebte Novelle, »Nachts unter der steinernen Brücke«, und der Zusammenhang, der zwischen der Traumliebe Rudolfs zu Esther und der Pest in der Judenstadt besteht, wird nicht vor der letzten, der vierzehnten Novelle des Romans erläutert, die »Der Engel Asael« überschrieben ist. Erst aus der Retrospektive vermag der Leser zu erkennen, daß der Handlungskern des Romans in symmetrischer Anordnung auf die erste, siebte und dreizehnte
    Novelle konzentriert ist, daß Rudolf II., Mordechai Meisl, dessen Frau Esther und der hohe Rabbi Loew die Protagonisten des Romans sind, und erst an dessen Ende vermag er all die Fäden zu verknüpfen, die die Schicksale dieser Figuren miteinander verbinden. Die einzelnen Novellen, die den Zeitraum von 1571 bis 1621 umspannen, bieten aus den Lebensgeschichten der Protagonisten lediglich Fragmente auf eine höchst diskontinuierliche Weise dar. So erscheint Mordechai Meisl z. B. in den Novellen abwechselnd als der bloße Name eines Unbekannten, als sagenhaft reicher Kaufmann und Handelsherr, als gänzlich mittelloser Knabe, als Verstorbener, als nach Armut strebender rachsüchtiger Greis — und gleichwohl besitzt der Leser am Ende des Romans nicht nur von ihm, sondern von allen Hauptfiguren eine kontinuierliche und lückenlos motivierte Geschichte. Während der Lektüre selbst aber ist der Leser stets mit der Aufgabe konfrontiert, aus der nicht chronologischen Folge in sich abgeschlossener Novellen eine kontinuierliche Romanhandlung zu entwerfen und zu komplettieren. Das Gelesene will, wie ein Vexierbild, stets auf zwei Ebenen zugleich entziffert und ergänzt werden: während der Leser die innere Ordnung der einzelnen Novelle nachvollzieht, muß er gleichzeitig stets den Beitrag zu ermitteln suchen, den sie zum Aufbau der Romanhandlung leistet. Auf diese Weise gelingt es Perutz, den Leser zum Konstrukteur eines lückenlos durchkonstruierten Romans zu machen.
    Für diese Erzählkonzeption lassen sich literarische Vorbilder vor allem in den Novellenzyklen der Romantik finden, doch für die von Perutz gewählte Verknüpfung in sich abgeschlossener, selbständiger Novellen zu einem Roman findet sich weder hier noch in späteren Novellenromanen eine unmittelbare Entsprechung. Wie reflektiert diese Erzählkonzeption ist, läßt sich einer der überaus seltenen Anmerkungen Perutz' zu seinem poetischen Verfahren ent 276
    nehmen. In einem Begleitbrief zu seinem Bomantyposkript schrieb Perutz am 15. März 1951 an Paul Zsolnay:
    Es ist, wie Sie sehen werden, ein Roman mit einem etwas eigenwilligen Aufbau. Die einzelnen Kapitel sehen aus und lesen sich wie selbständige Erzählungen, und es dauert einige Zeit, ehe man darauf kommt, daß man Kapitel einer eigentlich ziemlich straffen Romanhandlung vor sich hat, die aber nicht chronologisch erzählt wird. So ist der Beginn der Handlung
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