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Nachtpfade

Nachtpfade

Titel: Nachtpfade
Autoren: N Förg
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Kollegen gesagt, dass
Sie keinen Kontakt mehr zu Jacky hatten?«
    Sie nickte wieder.
    »Sie wissen also gar nichts über Freunde, Bekannte,
über ihr Leben?«, fragte Evi weiterhin ganz sanft.
    »Sie hatte nie Scheiß-Freunde, sie war immer schon
gaga.«
    »Gaga?«
    »Ja, als wir noch daheim waren, da ist sie immer
abgehauen in der Nacht. In den Feldern rumgelaufen. Ich bin jedes Mal gestorben
vor Angst. Mein Mann ist ausgeflippt.« Janette Paulig hatte begonnen, an ihren
Fingernägeln zu kauen.
    »Heißt ausgeflippt, dass er sie geschlagen hat?«,
fragte Gerhard.
    Sie zuckte mit den Schultern.
    »Antworten Sie!«
    »Eine Watschn wird er ihr schon mal gegeben haben«,
sagte Frau Paulig zögernd.
    »Und Ihnen auch?«
    »Das geht Sie einen Scheißdreck an!«
    Gerhard ignorierte die Attacke. »Und was ist mit
Jackys Vater? Sie sind ohne ihn ins Allgäu gekommen?«
    »Ist abgehauen, als Jacky zehn war. Direkt an ihrem
Geburtstag. Ab in den Westen.«
    »Und dann?«
    »Was, und dann? Was fragen Sie so blöd? Ich habe
gearbeitet, Tag und Nacht, um das Gör, das undankbare, durchzubringen. Putzen
war ich und in der Scheiß-Fabrik. Aber es hat ja alles dichtgemacht, war ja ein
einziges Kuddelmuddel mit dieser Scheiß-Wende. Diese Scheiß-Wessis haben doch
alles plattgemacht.«
    »Und dann sind Sie auch zu den Scheiß-Wessis gezogen,
Frau Paulig?« Gerhard versuchte es erneut mit Provokation, was auch fruchtete.
    Janette Paulig kreischte auf einmal. »Ach Scheiße! Ich
wäre lieber zu Hause geblieben. Das können Sie mir glauben. Ich war mal
Ingenieurin.« Sie wurde wieder leiser und lachte bitter. »Das hätten Sie jetzt
nicht gedacht, wa? Ohne die Scheiß-Wende wäre ich jetzt vielleicht schon
Chefin. Aber bei uns zu Hause gibt’s bloß noch scheißalte Männer und Glatzen.«
    »Und warum ins Allgäu?« Evi mischte sich wieder ein.
    »Weil ‘ne Freundin von mir schon 1990 nach Kempten gezogen
ist und wir da wohnen konnten. Und sie mir ‘ne Stelle besorgt hat.«
    »Und dann sind Sie mit Jacky zu Herrn Bodenmüller
gezogen?«, fragte Evi weiter.
    »Fragen Sie doch nicht so scheißblöd. Das wissen Sie
doch.«
    »Und wie ging es Jacky damit?« Evi blieb ganz ruhig.
    »Wie soll es ihr schon gegangen sein?«
    »Na, in der neuen Stadt, in der neuen Schule – das ist
doch ein großer Schritt für einen Teenager, oder?«
    »Mich hat auch keiner gefragt, wie man ein neues
Scheiß-Leben beginnen soll«, maulte Frau Paulig.
    »Wären Sie so gut, die Frage zu beantworten? Wie ging
es Jacky?«, fragte Gerhard in einem drohenden Tonfall.
    »Sie war wieder dauernd unterwegs. Ich hab ihr das
verboten. Der Mike auch. Das geht doch nicht, dass ein Mädchen allein rumläuft.
Das ist gefährlich. Und nun ist sie tot. So was musste ja mal passieren.« Sie
hatte wieder zu weinen begonnen.
    »Und deshalb gab es immer wieder Streit mit Mike?«,
fragte Evi.
    »Ja, der Mike ist nicht unrecht. Aber er hat gesagt,
das gehört sich nicht. Sie war ja nicht volljährig. Ist ja auch gefährlich.
Gerade heutzutage. Was man da alles so hört.« Sie schluchzte.
    »Ja, sicher.« Evi sah sie besorgt an. Das wirkte.
Janette Paulig redete weiter.
    »Ja, und da hat er ihr den Hund weggenommen. Er hat
immer gesagt, wenn das nicht aufhört mit dem Abhauen, dann nimmt er ihr den
Scheiß-Hund weg.« Sie schien auf einmal froh, zu reden. Es schien, als wolle
sie sich rechtfertigen für Mike und ihr ganzes einsames Wohnblock-Leben
zwischen Alkohol und Balkonblumen.
    »Und dann?«
    »Wurde alles nur schlimmer. Jacky ist dann nach
Peißenberg. Sie hatte eine gute Arbeit. So eine gute Arbeit. Aber das hat sie
auch vergeigt. So eine Scheiße.«
    »Frau Paulig. Wo waren Sie gestern Nacht?«, fiel
Gerhard plötzlich ein.
    Janette Paulig schien den Sinn der Frage nicht zu
verstehen. »Auf Arbeit, ich arbeite Schicht bei Bosch in Seifen. Gestern war
Frühschicht, der Bus fährt kurz nach vier. Ich arbeit am Fließband, tolle
Karriere, wa?«
    »Heute arbeiten Sie nicht?«
    »Ich hab frei, den Rest der Woche.«
    »Aha, und wo war der Mike?«, fragte Gerhard.
    »Im Ringstüble oder im St. Lorenz. Was weiß ich. Er
steigt da nach der Arbeit immer aus dem Bus aus und latscht dann heim. Schadet
ihm ja nicht, die Bewegung.«
    »Gut. Frau Paulig, es kommt auf Sie die traurige
Pflicht zu, Ihre Tochter zu identifizieren. Das können Sie tun oder Ihr
Lebensgefährte. Haben Sie mich verstanden?«
    Sie nickte. Evi schrieb ihr eine Adresse und
Telefonnummer auf und erklärte ihr den
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