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Nachtleben

Nachtleben

Titel: Nachtleben
Autoren: Aufbau
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Kopfkissen gezaubert, und sah dann zu mir herüber. Als ich mich unbeobachtet fühlte, äffte ich sein hämisches Grinsen vom Abendbrottisch nach. Wütend verzog Baader das Gesicht, stürmte an Merle und Werner vorbei auf mich zu. Als er nur noch wenige Schritte von mir entfernt war, trat ich ein Stück zurück, warf dann mein ganzes Gewicht in meine Schulter, meinen Arm und versetzte ihm einen harten Schlag mit der Faust ins Gesicht. Meine Knöchel krachten gegen sein Kinn. Es fühlte sich an, als habe ich mich an einer Tischkante gestoßen, aber statt einen Schmerzenslaut von mir zu geben, musste ich lächeln, als ich Baaders erschrockene Fresse sah. Ins Taumeln geratend, glotzte er mich an, und ich fackelte nicht lange, sondern setzte sofort mit gleicher Wucht einen weiteren Schlag nach. Baader stolperte und knallte mit dem Kopf gegen meinen Schrank, rutschte in die Hocke, und noch währenddessen verpasste ich ihm den nächsten Hieb. Seine Nase blutete. Im nächsten Moment lag er auf dem Boden, riss sich die Hände |40| vor das Gesicht, und ich trat ihm mehrmals in den Magen, bis er sich krümmte, und konnte nicht aufhören nachzusetzen.
    Auf wen ich in dem Moment einschlug, ob auf Baader oder nicht doch auf Franz, meine Mutter oder mich selbst, wusste ich nicht, doch mit jedem Schlag, den ich loswurde, schien eine Waagschale in mir ins Gleichgewicht zu pendeln.
    Werner kannte die üblichen Raufereien zwischen Jungs, aber die Brutalität meiner Schläge schien ihn derartig aus dem Konzept zu bringen, dass es einen Moment dauerte, bis er reagierte. Bevor er mich schließlich wegriss, trat ich noch einmal mit aller Härte auf Baader ein.
    Merle stand mit offenem Mund im Flur.
    »Was soll das, Richard?«, fragte Werner und packte mich am Handgelenk. »Was hast du mit der Sache zu tun?« Ich sagte nichts.
    »Christian«, wandte er sich an Baader, der sich mit angewinkelten Beinen an den Schrank gelehnt hatte. »Was hat Richard damit zu tun?«, aber auch Baader antwortete nicht. Jede Silbe einzeln betonend, wiederholte Werner: »Was hat Richard damit zu tun?« Baader sah mich an, und ich warf ihm einen drohenden Blick zu, wie ich ihn im Fernsehen in einem Schwarzweiß-Western gesehen hatte. Nachdem Baader sich bis zu diesem Moment noch gesträubt hatte, klein beizugeben, sanken seine Schultern mit einem Mal ein, als entweiche die Luft aus einer aufblasbaren Gummiente. Seine Hände rutschten von den Schenkeln und klatschten kraftlos auf den Boden. Seine ganze Haltung war eine einzige Kapitulation.
    »Richard hat nichts damit zu tun«, sagte er dann kaum hörbar. »Das war ich alleine.«
    Werner sah ihn ungläubig an und kratzte sich am Kinn.
    »Und warum prügelt ihr euch? Ist Richard dir auf die Schliche gekommen oder was?«, fragte Werner. Baader nickte. »Richard wollte nichts mit dem Mist zu tun haben«, hakte Werner nach, »und du hast versucht, ihn da mit reinzuziehen?«
    |41| Langsam und widerwillig nickte Baader ein weiteres Mal, und ich konnte spüren, wie sein innerer Schweinehund knurrte und sich sträubte. »Und jetzt wolltest du ihn verkloppen, weil er so schlau war, sich aus der Sache rauszuhalten, und wir dich erwischt haben«, quetschte Werner ihn weiter aus.
    Vielleicht, weil er befürchtete, ich würde ihn auch noch wegen des Joghurtklauens anschwärzen, oder weil er Schiss vor noch mehr Prügel hatte, nickte Baader abermals.
    »Wobei hat Richard dich erwischt?«, kam Werner auf den Punkt.
    »Hunderter«, sagte Baader und starrte schräg an mir vorbei.
    Werner schüttelte den Kopf, und ich bemerkte die anderen Kinder, die in der Zimmertür lehnten und mich anstarrten, als hätte ich Baader soeben den Thron unter seinem Hintern weggetreten.
    »Hier gibt’s nichts zu sehen«, fuhr Werner sie an. Damit wedelte er sie beiseite wie Schaulustige an einer Unfallstelle. »Ihr könnt jetzt Abendbrot essen gehen.«
    Unter dem Quietschen der Sprungfedern setzte er sich auf mein Bett und winkte Merle zu uns herein. »Mach mal die Tür zu.« Sie lehnte sich von innen gegen die Tür.
    »Warum hast du nichts gesagt, Richard?« Ich zuckte mit den Schultern. »Wolltest niemanden verpetzen. Verstehe schon«, nuschelte er in seine Hände, die er wie ein Tipi vor seinem Mund aufgeschlagen hatte, die Fingerspitzen auf dem Nasenrücken, die Daumen unters Kinn gedrückt. »Ihr seid so blöd«, sagte er schließlich. »Das gibt Strafarbeiten. Für euch beide. In der Küche, im Garten und im Stall. Und bei dir«, er sah
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