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Nachtleben

Nachtleben

Titel: Nachtleben
Autoren: Aufbau
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Befehlston.
    Ich hob das Kinn. »Wofür denn?«, fragte ich.
    »Dafür, dass du dumm und hässlich bist.«
    Baader machte einen Schritt auf mich zu. So dicht gegenübergestanden hatte ich ihm noch nie. Unter der Krempe meines Hutes hervorlugend, gaffte ich an ihm hoch und bemerkte kleine rötliche Pickel um seine Nasenlöcher herum. In seinen Barthärchen hingen Krümel.
    »Sag: Entschuldige, dass ich dumm und hässlich bin«, drohte er lauter und schubste mich ein zweites Mal. Dieses Mal schwankte ich nicht, sondern schaute ihm fest in die Augen, aber gerade als Baader mich packen wollte, rief Jens: »Der Laster!«, und als der LKW um die Ecke bog und vor den Supermarkt fuhr, huschten die anderen wie Wiesel in die Hagebuttensträucher.
     
    Hinter dem Altglascontainer zwischen Scherben hockend, spähte ich in Richtung des Supermarktes, vor dem zwei Männer in grauen Latzhosen Paletten und Kartons aus dem Laderaum schafften. Es roch nach Fruchtsaft, Bier und Hundepisse, und die ersten Wespen des Tages summten um mich herum.
    Ich musste an Baader denken. Wenn Franz mich geschlagen hatte, hatte ich mich nie gewehrt, weil ich mir dadurch nur |33| noch mehr Prügel eingefangen hätte. Auch Mutters Backpfeifen hatte ich ohne Widerspruch geschluckt. Baader schien aber ein Gegner zu sein, dem gegenüber ich nicht von vornherein chancenlos war. Vielleicht konnte ich nicht gewinnen, aber zumindest ein paar anständige Schläge konnte ich ihm verpassen.
    Irgendwann hörte ich ein Wispern aus dem Gebüsch. »Ksss«, zischte Jens.
    Weil ich noch immer in Gedanken war, dauerte es einen Moment, bis ich begriff, dass er mich darauf aufmerksam machen wollte, dass der Laster verschwunden war.
    Ich sah mich um. Eine Krähe stakste über den Parkplatz wie ein Kerl von der Wach-und-Schließ kurz vor Ende der Nachtschicht. Spaziergänger waren weit und breit nicht zu sehen. Ich atmete durch und lief mit klappernden Sandalen zu den Lebensmitteln, schnappte mir eine Palette und hastete zum Gebüsch. Erst über den Asphalt des Parkplatzes, dann zog die Feuchtigkeit des Grases in meine Socken, und schließlich knirschte der Schotterweg unter meinen Sohlen. Hinter den Zweigen und Blättern waren die anderen kaum zu erkennen, als sich mir unter dem Knacken des Geästs zwei Arme entgegenstreckten. Der Joghurt verschwand im Gebüsch. Ich holte die zweite Palette, verschwendete keinen Gedanken an den Filialleiter des Supermarktes oder Passanten, sondern konnte nicht aufhören mir vorzustellen, wie es wäre, mich mit Baader zu prügeln. Zwar war er größer als ich, aber er war es auch gewohnt, dass man Angst vor ihm hatte und den Schwanz einzog, sobald es ernst wurde. Ich lieferte keuchend die zweite Palette ab, dann die dritte, und schließlich holte ich die letzte. Wenn ich mich auf eine Rangelei mit Baader einließ, würden wir irgendwann am Boden liegen, und er würde durch seine pure Masse gewinnen, wenn er sich zum Muskelreiten auf meine Arme setzte. Gegebenenfalls müsste ich ihm also gleich zum Einstieg eine reinsemmeln und zusehen, dass er nicht die Oberhand gewann.
    |34| »Hey, Bengel!«
    Ich blieb abrupt stehen.
    Auf dem Weg wenige Meter neben mir stand ein bleicher, alter Mann in Lodenmantel und Hut wie ein umgedrehtes Ausrufezeichen. Über seine Wangenknochen zog sich rissige Haut, und seine Lippen unterschieden sich nicht vom Rest seines fahlen Gesichts. Mit der einen Hand klammerte er sich an einen Spazierstock, an der anderen hielt er angeleint einen Jagdhund. Erst sah er mich an, betrachtete dann die Palette und schaute anschließend zum Supermarkt. Er wusste sofort, wie er mich einzuordnen hatte. Das Heim und wir Bewohner waren, das hatte ich schon mitbekommen, in dem kleinen Ort bekannt, sodass bei einem Fall von Ruhestörung oder Sachbeschädigung zuerst bei der Heimleitung nachgefragt wurde.
    Der Alte hustete. Mein Blut pulsierte in den Fingerspitzen, bis unter die Nägel, und die Luft zitterte vor meinen Augen.
    »Stell die Palette zurück, oder ich rufe die Polizei«, sagte der Mann. Unter dem Knirschen des Schotters kam er auf mich zu. Dabei setzte er den Stock ruckartig vor sich auf, als müsse er sich auf jeden einzelnen Schritt konzentrieren. Neben seinem kräftigen Hund wirkte er noch gebrechlicher, als er ohnehin war.
    »Vom Erziehungsheim, was?«, fragte er. Ich nahm den Geruch von kaltem Zigarrenqualm wahr, der ihn umwehte. »Ihr Bengel seid alle Gauner und Verbrecher. Ihr habt neulich auch Frau Krumbholz
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