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Nachtgieger

Nachtgieger

Titel: Nachtgieger
Autoren: Ilse Maria Dries
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Zimmer ihrer Tochter. Sie war nicht nach Hause gekommen. Über ihr freies Wochenende war sie mit einer Freundin verreist, wie schon einige Male in letzter Zeit. Zum Wandern, wie ihr ihre Tochter erzählt hatte. Sie hatten geplant, ins Fichtelgebirge zu fahren, sich ein Zimmer in einer einfachen Pension zu mieten, ausgiebig zu wandern, Pilze zu suchen und sich bei schönem Wetter in den Fichtelsee zu stürzen.
    Marga hatte ihr nicht geglaubt. Ihre Kati war noch nie gern gewandert, und sie konnte einen Sandschieber nicht von einem Knollenblätterpilz unterscheiden. Die Tochter war eher eine Stubenhockerin, die ihre Freizeit ständig vor dem Computer im Internet verbrachte, seit der Vater ihr diesen Wunsch zum dreiundzwanzigsten Geburtstag erfüllt hatte. Das Ehepaar Simmerlein hatte wegen dieses Geschenkes Streit bekommen. Marga vertrat die Ansicht, ihre Tochter solle weiter lernen, wieder auf die Schule gehen, damit sie es zu etwas brachte und nicht ihr Leben lang diese Hilfsarbeitertätigkeiten bei dem Obstgroßhändler ausführen musste. Sie sollte ihr Zimmer ordentlich aufräumen, im Haushalt helfen und ab und zu am Wochenende mit Freundinnen ausgehen, um einen passenden Ehemann kennenzulernen. Marga sehnte sich nach Enkelkindern. Ihr Mann Alfons war hingegen der Meinung, dass jeder junge Mensch einen PC besitzen musste und dass man ihn auch für das Lernen bräuchte.
    Aber sie hatte ihre Tochter ziehen lassen. Sie war schließlich volljährig und normalerweise absolut zuverlässig. Vielleicht traf sie sich heimlich mit einem Mann und es sollte eine Überraschung werden.
    Doch nun war sie nicht zurückgekommen, obwohl heute Morgen um sechs Uhr ihre Schicht begonnen hätte. Sie hatte sich auch über ihr Handy nicht gemeldet, das sie überall mit hinnahm. Natürlich hatte Marga Simmerlein es immer und immer wieder versucht, doch Kati war nicht zu erreichen.
    Die Mutter war inzwischen nicht mehr unruhig, sondern in höchstem Maße alarmiert. Irgendetwas stimmte nicht. Davon war sie fest überzeugt. Sie würde jetzt die Polizei anrufen und eine Vermisstenmeldung aufgeben. Ihr Ehemann war strikt dagegen: Vielleicht hatten die zwei Freundinnen beschlossen, ihren Kurzurlaub zu verlängern, vielleicht hatten sie mal einen draufgemacht, das habe er in seiner Jugend auch getan, vielleicht hatten sie eine Autopanne.
    Das waren für Marga Simmerlein entschieden zu viele Vielleichts. Als Alfons das Haus verlassen hatte, um zur Arbeit zu gehen, rief sie augenblicklich die Polizei in Bamberg an, meldete ihre Tochter als vermisst und gab eine genaue Personenbeschreibung durch.
    Diese Beschreibung landete direkt auf dem Schreibtisch von Gerd Förster, der seine Kollegen gebeten hatte, ihm alle Vermisstenfälle der letzten Wochen zu übergeben.
    Nachdem er die präzise Beschreibung der jungen Frau studiert hatte und wenige Minuten später ein Bild der Vermissten per Fax eintraf, war er sich so gut wie sicher, um wen es sich bei der Leiche handelte.
    Traurig blickte er auf die Schwarzweißfotografie einer lebensfrohen, schönen jungen Frau, die begeistert die Kerzen ihrer Geburtstagstorte ausblies. Er zählte dreiundzwanzig Stück.
     
    Gerd Förster hatte die Eltern der Vermissten nach Bamberg in das gerichtsmedizinische Institut gebeten, um die junge Frau zu identifizieren. Das war nicht leicht gewesen. Marga Simmerlein hatte sich zunächst vehement geweigert. Ihre Tochter Kati befände sich in einem Kurzurlaub. Es ginge ihr ganz gewiss gut. Es könne sich unmöglich um ihre Tochter handeln, weil die sich im Fichtelgebirge aufhielt. Eine gewisse Ähnlichkeit womöglich, reiner Zufall. Viele Mädchen hätten blonde, lange Haare. Die von Kati waren gefärbt, folglich konnte sie es gar nicht sein.
    Der Kommissar kam bei diesem Telefonat nicht weiter. Die Widerstände der Mutter, die inzwischen außer sich vor Angst war, schienen unüberwindlich. Mandy Bergmann übernahm das Gespräch. Nach einer Weile sanfter, aber beharrlicher Argumentation erklärte sich Marga Simmerlein bereit, sich gemeinsam mit ihrem Mann Alfons die Leiche anzuschauen. Wenn sie sich mit eigenen Augen davon überzeugt hatten, dass es sich bei der toten jungen Frau nicht um ihre Tochter handelte, würde es ihnen besser gehen. Die Ungewissheit war unerträglich.
    Sieglinde Silberhorn bekam den Auftrag, Marga Simmerlein von zu Hause und ihren Ehemann von der Arbeit abzuholen. Sie waren auf keinen Fall in der Lage, selbst Auto zu fahren. Die Polizistin erledigte den
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