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Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren

Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren

Titel: Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren
Autoren: Alison Sinclair
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sanft, dass sie davon nicht erwachten. Vielleicht, kam es ihm in den Sinn, hätte er Floria ihr Experiment erlauben sollen. Zum jetzigen Zeitpunkt konnte er ja noch gar nicht sicher sein, ob sie in naher Zukunft tatsächlich Ultrallschallsinne entwickeln würden. Vielleicht wären der Schmerz und die Narben einer Verbrennung ein vergleichsweise geringer Preis gewesen, wenn sich dadurch vermeiden ließ, ein ganzes Leben aus einer grundlosen Angst vor dem Sonnenlicht in Dunkelheit zu verbringen.
    Was für selbstsüchtige Scheusale die Erwachsenen doch sind , dachte er und beugte sich dicht über die Wiege, um neben dem Zischen und Knistern des Feuers auch den federleichten Atem der Zwillinge zu hören. Weder ihre Mutter noch ihr Vater hatten in ihrem gewissenlosen Sinnentaumel auch nur einen einzigen Gedanken an die Kinder verschwendet, die ihrer Vereinigung entspringen konnten. Unehelichkeit allein hätte schon genug Elend über die Jungen gebracht, auch ohne dass ihre Mutter die Verlobte von Ferdenzil Mycene war und ihr Vater … was auch immer er sein mochte. Er wünschte, er könne es wagen, sie bei sich zu behalten und zu beschützen, und hoffte inständig, dass Olivede für sie einen liebevollen und aufgeschlossenen Vormund finden würde.
    Er zog sich einen Schaukelstuhl heran, setzte sich neben sie und war fast auf der Stelle eingeschlafen – genauso erschöpft wie nach den Geburten seiner eigenen Töchter.
    Als Tercelle sich in der Küche zu schaffen machte, wachte er auf. Sie trug jetzt ein anderes Nachthemd seiner Mutter und krümmte sich beim Gehen; offensichtlich bereitete ihr jeder Schritt große Schmerzen. Er war sofort auf den Beinen. »Tercelle, du solltest noch nicht aufstehen.«
    »Ich war hungrig«, erwiderte sie mürrisch. »Ich habe nach dir gerufen. Du bist nicht gekommen.«
    Er entschuldigte sich und suchte ein Polster, auf dem sie sitzen konnte, während er Tee kochte und ihr einen Toast zubereitete. Ihre Peilstrahlen folgten jeder seiner Bewegungen und trübten seine Wahrnehmung; er ahnte, dass sie ihn nur beobachtete, damit sie den Kopf nicht zu der Wiege wenden musste. »Wie spät ist es?«, fragte er leicht desorientiert.
    »Die Glocke zum Sonnenaufgang fängt in knapp zwei Stunden an zu läuten. Wann wird deine Schwester zurück sein?«
    »Ich bin mir nicht sicher. Sie sagte, vielleicht nicht mehr heute Nacht.« Er stellte den Toast, Kanne und Tassen auf den Tisch und schenkte ihnen beiden Tee ein. Der eine Säugling regte sich in seinem Bettchen und schmatzte leise vor sich hin. Zögernd sagte er: »Womöglich haben sie Hunger.«
    »Aber noch sind sie ruhig«, entgegnete sie gleichgültig. »Also wird sie sie mitnehmen.«
    »Sie kümmert sich darum, dass sie irgendwo unterkommen. So wie du es haben wolltest.« Tercelle hatte außerdem darauf bestanden, nicht zu erfahren, wo die Babys hinkamen, und verlangt, dass es keinen weiteren Kontakt mehr zu ihnen geben würde.
    »Ich muss einen wichtigen Brief versenden«, sagte sie und zog einen säuberlich mit einem kunstvoll verschnörkelten Prägestempel versiegelten Umschlag aus dem Ärmel. Vermutlich hatte sie den Brief schon so mit in sein Haus gebracht. »Vielleicht könntest du jemanden finden, der ihn überbringt, bevor es hell wird.«
    Mit einem unterdrückten Seufzer kam er ihrer Bitte nach. Er stand auf, fischte sich eine Münze aus dem Krug, in dem er das Kleingeld für Botengänge und Kutschfahrten sammelte, nahm seine Pfeife und trat vor die Haustür. Am Ende der Häuserreihe lungerte stets ein Botenjunge in der Hoffnung auf Kundschaft herum. Beim Klang von Balthasars Pfeife sprang er auf sein Fahrrad und war schnell wie der Wind zur Stelle. Balthasar las dem Jungen die Adresse vor, denn er wusste nicht, ob der Bote lesen konnte. Balthasar entging nicht, dass der Empfänger ganz in der Nähe des Stadthauses von Telmaines Familie wohnte. Des Hauses, das er geradezu belagert hatte, um seine Braut zu erobern. Als er die Stufen zu seiner Tür wieder hinaufging, schwankte er leicht – er konnte sich nicht ausreichend auf den komplexen Vorgang der Ultraschallortung konzentrieren, weil er Telmaine so sehr vermisste, dass es schmerzte.
    »Dein Brief ist auf den Weg gebracht«, ließ er Tercelle wissen.
    »Gut.« Zum ersten Mal lächelte sie. »Ich habe dir frischen Tee eingeschenkt. Der alte wurde schon kalt.«
    Der Tee war stärker, als er ihn mochte, etwas bitter von Tannin, und hatte einen merkwürdig muffigen Nachgeschmack. Vermutlich
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