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Nachtfalter

Nachtfalter

Titel: Nachtfalter
Autoren: Petros Markaris
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Profikiller schießen einmal, höchstens zweimal. Aber Makis ist kein Profi. Er schoß ihm zweimal ins Herz, einmal in die Lunge, einmal in den Bauch und machte Hackfleisch aus ihm. Aus Haß? Um sicherzugehen, daß er auch wirklich tot war? Wer weiß.«
    Elena ist vollkommen aufgelöst. Sie blickt einmal mich, dann wieder Niki an, der das unschuldige Lächeln immer noch nicht aus dem Gesicht gewichen ist. Vielleicht, weil sie denkt, all das seien bloß Hypothesen, und weil sie noch nicht weiß, daß wir einen Augenzeugen haben – nämlich Tersis.
    »Sie haben das Motorrad in der Leonidou-Straße vor dem Finanzamt Chaidari zurückgelassen«, fahre ich fort. »Sie hatten in der Thrakis-Straße, vor dem Schulgebäude, einen Wagen abgestellt. Sie setzten sich hinein und fuhren los. Ich weiß nicht, ob die weiße Perücke, die Makis trug, Ihre oder seine Idee war. Der Trick verfing jedenfalls. Das Brachland vor dem Rembetiko ist unbeleuchtet. Mantas, der Türsteher, hat das weiße Haar gesehen und ist darauf reingefallen. Und Sie selbst trugen einen Sturzhelm.«
    Vlassopoulos und Dermitzakis starren mich an. Ich hatte sie unterwegs kurz unterrichtet, doch es überstieg ihre Vorstellungskraft, daß der Mord an Koustas so einfach und doch so ausgeklügelt organisiert war.
    »Fahrt sie aufs Präsidium zum offiziellen Verhör«, sage ich zu Vlassopoulos.
    Plötzlich tritt Elena dazwischen und verstellt mir die Aussicht auf Niki. »Das ist nicht wahr, Niki! Das ist alles erlogen, oder?«
    »Nein, es ist nicht alles erlogen. Zum Teil ist es wahr.« Sie beugt sich zur Seite und sucht meinen Blick. »Die Vermutungen, die Sie anstellen, sind bis zu einem gewissen Punkt richtig, Herr Kommissar«, sagt sie sanft.
    »Das sind keine Vermutungen. Ich habe einen Augenzeugen, der Sie in der Thrakis-Straße erkannt und in den Wagen hat steigen sehen.«
    »Natürlich hat er mich wiedererkannt. Ich war ja auch dort.« Sie spricht es so selbstverständlich aus, als hätte sie dort schnell ein Auto oder Badezimmerfliesen gekauft.
    »Sie geben also zu, daß Sie an dem Mord beteiligt waren.«
    »Ich war gegen meinen Willen Zeugin, als mein Freund ermordet wurde, und gegen meinen Willen Zeugin, als mein Vater ermordet wurde.«
    »Was soll das heißen? Eins nach dem anderen, bitte, damit ich mir meinen Reim darauf machen kann.«
    »Hören Sie«, sagt sie seufzend. »Am Abend des Mordes hatte sich Makis wieder einen Schuß gesetzt und stand unter gräßlicher Hochspannung. Unaufhörlich verfluchte er unseren Vater. Ich hatte, wie Sie wissen, einiges hinter mir und hielt es nicht aus, ihm zuzuhören. Um ihn zu beruhigen, schlug ich vor, eine Spazierfahrt zu machen. Anfänglich dachte ich an meinen Wagen, doch er war mit dem Motorrad gekommen, und da haben wir es einfach genommen.«
    »Das Motorrad war gestohlen«, unterbreche ich sie.
    Sie zuckt mit den Schultern. »Er behauptete, er hätte es von einem Freund ausgeliehen.«
    »Makis hat das Motorrad gestohlen?«
    »Wer sonst? Mein Vater hat ihm nie Geld gegeben, das habe ich Ihnen bereits gesagt. Und ein drogenabhängiger Mensch ist zu vielem fähig, um sich seine Dosis zu sichern. Was kann man da machen. Da ich während meines Studiums in England einen Motorroller hatte, stellte ich die Bedingung, daß ich fahren würde. Ich wollte ihn in seinem Zustand nicht an den Lenker lassen. Sowie wir auf den Vassilissis-Sofias-Boulevard kamen, übernahm er nach und nach das Kommando. Anfangs sagte er ich sollte zur Panepistimiou-Straße fahren. Als wir zum Omonia-Platz gelangten, meinte er, wir sollten zum Rembetiko fahren, weil er Vater einen Vorschlag gemacht hätte und seine Antwort erwartete. Wenn ich von Makis etwas gelernt habe, dann ist es, Drogensüchtigen niemals zu widersprechen. Bei denen knallt beim ersten Nein eine Sicherung durch. Wir kamen beim Rembetiko an. Sie werden verstehen, daß ich meinem Vater nicht begegnen wollte. Makis stieg ab und ging auf den Nachtklub zu. Ich verlor ihn aus den Augen und dachte, er sei hineingegangen. Kurz darauf sah ich, wie mein Vater allein heraustrat. Er ging auf seinen Wagen zu, um etwas zu holen, als Makis hinter ihn trat. Ich weiß nicht, woher er plötzlich auftauchte. Wahrscheinlich hatte er sich versteckt, ganz wie Sie vermuten. Er sagte etwas zu ihm, und mein Vater drehte sich um. Dann sah ich, wie Makis einen Revolver zog und auf ihn schoß. Mein Vater brach zusammen, und Makis rannte auf mich zu. Er sprang auf das Motorrad und schrie mir zu
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