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Nachtfalter

Nachtfalter

Titel: Nachtfalter
Autoren: Petros Markaris
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Kinderhemdchen und -höschen vorführen. Tersis wirkt zunächst kräftig, wenn man von seiner Körperstatur ausgeht, und auf den zweiten Blick korpulent, wenn man seinen Bauch betrachtet. In etwa so wie Aristos Moraitis, bevor ihn der Kummer um seine Frau dahinwelken ließ. Er trägt ein T-Shirt, und mit der Handfläche streicht er sich immer wieder über seinen geschorenen Schädel.
    »Herr Tersis?« frage ich, als ich näher trete.
    »Ganz recht.«
    »Kommissar Charitos. Ich bin wegen eines Falles hier, der Sie nicht unmittelbar betrifft, doch es kann sein, daß Sie ein Augenzeuge sind.«
    »Ich habe alle Hände voll zu tun. Können Sie nicht ein andermal wiederkommen?«
    »Das geht nicht. Es ist dringend.«
    »Entschuldigen Sie mich bitte. Es wird nicht lange dauern«, sagt er zu dem Ehepaar und wendet sich dann mir zu. »Kommen Sie.«
    Er öffnet mir eine Tür am hinteren Ende des Raums und führt mich in einen Lagerraum im Untergeschoß. In die eine Ecke hat er seinen Schreibtisch mit einem Besucherstuhl gestellt, auf dem zur Zeit eine Tasche thront. Ich nehme sie vom Stuhl und stelle sie auf den Boden, um mich zu setzen. Er läuft sofort herbei, hebt sie auf und stellt sie auf seinen Schreibtisch.
    »Entschuldigen Sie, aber sie wird sonst schmutzig«, sagt er. Dann holt er ein Staubtuch hervor und beginnt, den Schreibtisch abzuwischen.
    Ich bin an einen pedantischen Flohzirkusdirektor geraten, aus dem ich nichts herauskriegen werde, denke ich enttäuscht. Meine letzte Hoffnung bleibt wohl nur Aristos’ Frau.
    »Herr Tersis, erinnern Sie sich an einen Abend vor ungefähr zwei Monaten, als Sie wegen einer Anzeige mit einem gewissen Moraitis auf das Polizeirevier Chaidari gekommen sind?«
    »Ach ja, dieser schreckliche Typ.« Sein Ärger ist noch nicht verraucht. »Ich hatte einen Kunden mit Mustern aus meiner Kollektion besucht und mußte in zweiter Spur stehenbleiben, weil ich keinen Parkplatz fand. Ich dachte mir, es reichte ja, wenn mir ein Autofahrer durch Hupen zu verstehen gäbe, daß er wegfahren wollte. Doch dieser Arsch hat sich einfach auf mich gestürzt, als ich herauskam. Ich war den ganzen Tag für Kundenbesuche unterwegs und hundemüde, und er schleppte mich um ein Uhr morgens auf die Polizeiwache.«
    »Können Sie sich erinnern, ob Ihnen ein Motorrad der Marke Yamaha mit zwei Männern darauf aufgefallen ist, als Sie zurückkamen, um Ihren Wagen zu holen?«
    Er zieht die Brauen zusammen und kramt in seinem Gedächtnis. »Motorrad habe ich keines gesehen«, sagt er nach kurzem. »Ich habe zwei Typen gesehen, doch die sind in einen Wagen gestiegen.«
    »Wo haben Sie sie gesehen?«
    »Sie sind mir aufgefallen, als ich in die Thrakis-Straße einbog. Der Wagen war vor einem Schulgebäude abgestellt. Er sah wie ein Opel Corsa aus, wenn ich mich recht erinnere.« Während unserer Unterhaltung hat er seinen Schreibtisch ein zweites Mal gesäubert und dreimal den Aschenbecher geleert.
    »Haben Sie vielleicht auf das Nummernschild geachtet?«
    »Nein, aber die Farbe war hellgrün.«
    »Und die Insassen?«
    »Der eine war weißhaarig.«
    Na, wer sagt’s denn, der Weißhaarige. Sie haben das Motorrad stehengelassen und sind mit einem hellgrünen Opel Corsa weitergefahren. Irgendwo werden wir ihn unter den gestohlenen Wagen ausfindig machen. Ich zweifle jedoch daran, ob wir auf Fingerabdrücke oder andere Hinweise stoßen werden. Ich ziehe das Phantombild hervor und zeige es ihm.
    »War es vielleicht der?«
    Er betrachtet es, doch seine Miene sagt mir, daß er ihn nicht wiedererkennt. »Kann sein. Es war finster, und das einzige, was auffiel, war sein weißes Haar.«
    »Und der andere?« frage ich und schlage innerlich das Kreuzzeichen, er möge mir eine Personenbeschreibung von Karamitris liefern.
    »Nicht der andere. Die andere.«
    »Die andere? Es war eine Frau?«
    »Ganz recht. Anfänglich hielt ich sie auch für einen Mann, weil sie ihre Haare ganz kurz geschnitten trug, richtig jungenhaft. Als ich aber an ihnen vorüberfuhr, fielen die Schweinwerfer auf sie, und da habe ich gesehen, daß es eine Frau war.«
    Ich sage nichts. Ich sehe nur, wie Tersis mit dem Staubtuch in der Hand wie angewurzelt stehenbleibt und mich verdattert anstarrt.
    Mit einem Schlag liegt die Lösung aller drei Fälle vor mir, als hätte sie die ganze Zeit nur auf mich gewartet.

57
    E s ist bereits halb acht, als wir an die Tür des Apartments in der Fokylidou-Straße 12 klopfen. Zunächst stutzt Niki Kousta bei unserem Anblick,
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