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Nacht über der Prärie

Nacht über der Prärie

Titel: Nacht über der Prärie
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Miene, da er seinen Kindern jeden harmlosen Spaß gönnte. Der Fahrer warf nur einen kurzen Blick zurück. Seine Mienen blieben undefinierbar.
    Der Wagen startete. Sein Fahrer hatte eine vorzügliche Hand und eine gute Übersicht über alle Möglichkeiten, auch mit seinem Sechs-Meter-Riesen auf der überfüllten Straße durchzuschlüpfen. Durch die Abzweigungen, in die ein Teil der Wagen einfuhr, und durch die Unterschiede der Geschwindigkeiten, überhaupt der Fahrweisen, zogen sich die Wagenkarawanen rasch auseinander, und schon nach einer halben Stunde Überlandfahrt hatte der Cadillac Bewegungsfreiheit. Der Fahrer stellte die Geschwindigkeit auf das von Vater Bergen gewünschte ›Bummeltempo‹ von fünfundsechzig Meilen ein und knickte das Steuerrad, so daß es seiner mittleren Figur und seinen nicht allzu langen Armen am bequemsten lag. Um die automatische Gangschaltung brauchte er sich nicht zu kümmern. Der Wind wehte steif, aber an dem Zwei-Tonnen-Wagen konnte er nicht rütteln; dazu gehörten andere Stärken.
    Caroline plauderte vor sich hin, erzählte kleine Rodeo- und Tanz-Erlebnisse, aber allmählich sank sie im gleichmäßigen Klima und bei der gleichmäßigen Geschwindigkeit in einen Halbschlummer.
    Jerome studierte eine Fußballzeitschrift. Joe hatte die Lider gesenkt und schien dem Schlaf nahe. Er lächelte wie im Traume vor sich hin, als er den Griff sah, mit dem der Fahrer den Rückspiegel auf ihn einstellte.
    »Was machen Sie denn mit dem Spiegel, Paul«, tadelte Vater Bergen. »Sie haben ihn nicht gut eingestellt.«
    »Wollen Sie ans Steuer, Mister Bergen?«
    Das waren die ersten Worte, die Joe aus dem Munde seines Feindes hörte; sie waren mit der farblosen arroganten Stimme des durchschnittlichen Fachmannes gesprochen.
    »Dad, wir bummeln unausstehlich!« Caroline war wieder wach geworden. »Laß doch Paul endlich fahren, wie er will.«
    Vater Bergen äußerte sich nicht zu diesem Wunsch, und Paul betrachtete das Schweigen als Ablehnung.
    Caroline aber, gewohnt, ihren Willen durchzusetzen, versuchte, ihren Bruder aus der Fußballektüre aufzustören.
    »Jerome, findest du nicht auch?«
    »Was, meine Liebe?«
    »Daß wir uns einen Cadi angeschafft haben, brand new, um einen Cadi zu fahren?«
    »Das tun wir ja, meine Liebe.«
    »Wir fahren einen Cadillac wie einen alten Studebaker.«
    »Wieso kommst du denn auf den Gedanken?«
    »Wollen wir heute noch bis zu den Hills oder nicht?«
    »Aber das muß doch Paul wissen.« Jerome blätterte um und begann einen weiteren Artikel zu lesen.
    »Paul, nun stellen Sie doch endlich wenigstens auf hundert ein! Auf unserer Straße hier gibt es bei Tage keine Geschwindigkeitsbegrenzung.«
    Der Fahrer warf einen Seitenblick auf Mr. Bergen.
    »Wieso sind wir nicht auf hundertzehn?« erkundigte sich Mr. Bergen erstaunt. Der Fahrer ging stillschweigend auf die hohe Geschwindigkeit. Was er sich dabei über Familie Bergen dachte, war in keiner Weise geeignet, ausgesprochen zu werden.
    Der Wind wehte heftiger. Das Gras der endlosen Weiden wiegte sich in Wellen; Staubwolken wallten auf, das Vieh verließ die höher gelegenen, dem Wind ausgesetzten Wiesen ganz und drängte sich in den Prärietälern zusammen. Weiden beugten sich der Gewalt des Sturmes, ohne Schaden zu nehmen. Quer über der Fahrbahn lag eine abgebrochene Pappel. Der Wind mußte in dieser Gegend schon Stunden vorher mit sturmartigen Böen über die Ebene gegangen sein.
    Der Fahrer bremste rechtzeitig in sanftem Auslauf.
    »Verdammt!« rief Jerome. Als er aufschaute, kam das Hindernis auch in sein Blickfeld. »Verdammt gut gefahren, Paul!«
    Caroline zeigte gemäßigte Heiterkeit.
    »Es ist Lunchzeit, Lieber. Ich arrangiere eine Kleinigkeit. Du wirst das Bäumchen unterdessen so weit abrücken, daß wir vorbeifahren können.«
    Jerome nahm den Vorschlag ernst, da es ihn reizte, seine Muskelkräfte zu zeigen. Er stieg aus, packte den Baum an und brachte ihn in eine Richtung, die dem Wagen Raum gab, auf der anderen Fahrbahnseite vorbeizukommen. Mit sich selbst zufrieden, stieg Jerome wieder ein.
    Da es draußen zu windig, zu kalt und zu staubig war, wurde das Lunch im Wagen eingenommen. Es gab Schinken, harte Eier, Salat und Tee. Der Fahrer und Vater Bergen wandten sich beim Essen halb dem Fond zu. Paul legte seine weichen hauchdünnen Handschuhe auch jetzt nicht ab. Die Mörderhände, dachte Joe.
    »Schreckliche Einöde«, urteilte Carol und schaute dabei etwas aufmerksamer ringsum. Nirgends konnte sie
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